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Aus dem GERICHTSSAAL: Über 67 000 Euro erschlichen

Rentner zu 23 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt

Stand:

„Wo ist unser Geld geblieben? Das würde uns wirklich interessieren?“, fragt einer der Geprellten erregt. Die anderen zahlreich Erschienenen murmeln Zustimmung. Am Ende des mehr als achtstündigen Verhandlungstages sind sie – ebenso wie Staatsanwaltschaft und Schöffengericht – in diesem Punkt auch nicht schlauer. Doch zumindest können sie ruhiger schlafen. Wilfried W.* (70), angeklagt des gewerbsmäßigen Betruges in 37 Fällen – wird zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten auf Bewährung verurteilt. Zudem hat er die über 67 660 Euro zurückzuzahlen, die er sich von Freunden, Nachbarn und Bekannten zwischen Februar und August 2007 borgte und von denen sie bislang so gut wie nichts wiedersahen. Der pensionierte Wasserbauingenieur, Tüftler mit Patent und Mitglied des Vereins „Schlaraffia“ – letzterer nutzt mittelalterliche Bräuche, um menschliche Schwächen zu persiflieren – sieht sich hingegen keinesfalls als Straftäter. Er habe stets vorgehabt, die ausstehenden Summen bei seinen Gläubigern zu begleichen, beteuert der seriös wirkende ältere Herr. Von ihm dringend erwartete Zahlungen seien ausgeblieben, da „irgendwelche behördlichen Instanzen stets ihr Veto einlegten“.

Als 2006 in der Presse eine Anzeige erschien, in der ein Geschäftsführer für zwei Filialen des Autovermietungsunternehmens Europcar in Babelsberg und Berlin gesucht wurde, habe er sich beworben, sich trotz seiner damals bereits 67 Lenze fit für diesen Job gefühlt, betont der Angeklagte. Außerdem habe er diese Aufgabe mit seinem (bereits gerichtsbekannten) Stiefenkel Daniel D.* meistern wollen. Europcar habe ihn prompt in seinem Amt bestätigt. Doch einen notariellen Vertrag gab es nie. Weil er auch als Gesellschafter fungierte, habe er eine viertel Million Euro einzahlen müssen, sich dadurch verschuldet. Dann musste noch mehr Geld her. Darum habe er seine langjährigen Nachbarn in Bornstedt gebeten, ihm mit Beträgen zwischen 500 und 14 000 Euro unter die Arme zu greifen, ihnen einen Darlehnsvertrag ausgehändigt. In diesem versprach der Mann seinen Gläubigern zwölf Prozent Verzugszinsen, falls er das Geld nicht in der vereinbarten Frist von rund einem Monat zurückzahlen könne. Außerdem erklärte er sich im Notfall mit der Pfändung seines Kontos einverstanden.

Die Leute, die er ansprach, vertrauten Wilfried W. anfangs blind. Er galt als freundlich und nett, lebte in geordneten Verhältnissen. Als sie nach monatelangem Mahnen dann allerdings keinen Cent ihrer Barschaft wiedersahen, gingen sie auf die Barrikaden, erstatten Anzeige. Noch während der Verhandlung ist spürbar, wie wütend sie sind. Am liebsten würden sie den Mann hinter Gittern sehen. Die Kriminalpolizei, die während ihrer Ermittlungen Kontakt zur Zentrale von Europcar in Hamburg aufnahm, erfuhr: Einen Geschäftsführer namens Wilfried W. hat es nie gegeben. Die Frage der Vorsitzenden Richterin, ob er je in den beiden Filialen vorstellig geworden sei, verneint der Angeklagte. Das verwundert sie sehr. Noch mehr stutzt sie bei der Aussage, der vermeintliche Geschäftsführer habe große Geldsummen durch einen „Boten“ zu Europcar nach Berlin bringen lassen. Dessen mündliche Zusage, die Beträge seien am Bestimmungsort angekommen, habe ihm gereicht. Der Bote – als Zeuge geladen - verweigert die Aussage, da er sich bei wahrheitsgemäßer Auskunft selbst in die Nesseln setzen würde.

Wilfried W. leide an einer narzistischen Persönlichkeitsstörung und zeige Züge eines Hochstaplers, führt der psychiatrische Gutachter aus. Er sei vermindert schuldfähig. Trotz seiner überdurchschnittlichen Intelligenz habe sich der Angeklagte in eine Idee verstrickt, an der er auch während der Verhandlung unbeirrt festhielt. (*Namen geändert.) Hoga

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