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Nach dem gefeierten Debüt „Weltstadt“ dreht HFF-Student Christian Klandt jetzt seinen Diplomfilm
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Charly muss sich übergeben. Mitten im Wohnzimmer zwischen dem Fernseher und dem Couchtisch. Charly ist sechzehn, gerade aus einer durchfeierten Nacht nach Hause gekommen, und sie ist schwanger. Gleich soll sie das Frühstück für ihre jüngeren Geschwister vorbereiten. Ihre Mutter liegt, wie so oft, phlegmatisch auf dem Sofa hinter dem Couchtisch und beschäftigt sich mit einem Puzzle. In der Küche stapelt sich der Abwasch, auch auf dem fleckigen Boden. Draußen wird es Tag. Aus Charlys Wohnung im 15. Stock hat man einen weiten Blick auf die Dächer einer Hochhaussiedlung in Berlin Hohenschönhausen.
Hier entsteht Christian Klandts nächstes Filmprojekt mit dem Arbeitstitel „Little Thirteen“. Es ist der Diplomfilm des Nachwuchsregisseurs und Studenten der Babelsberger Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ (HFF), der bereits für sein mehrfach ausgezeichnetes Regiedebüt „Weltstadt“ über den Mord an einem Obdachlosen in Beeskow 2009 internationale Anerkennung erhielt. Acht weitere HFF-Studenten – unter anderem für Produktion, Bildgestaltung und Filmmusik – bereiten mit „Little Thirteen“ ihren Abschied von der Hochschule vor.
In „Little Thirteen“ erzählt Klandt von Jugendlichen, für die Sexualität zum Ersatz für fehlende Nähe und Mittel gegen enttäuschte Hoffnungen geworden ist. Für Charlys beste Freundin, die 13-jährige Sarah, ist es normal, ihre Jungfräulichkeit im Internet zu versteigern. Über das Netz gerät sie auch an den etwas älteren Gymnasiasten Lukas, der sich mit dem Handel von selbstgedrehten Handy-Pornos auf dem Schulhof Respekt verschafft. Eine gute Gelegenheit, das Geschäft etwas zu beleben, bietet sich für Lukas, als sich auch Sarahs Mutter für ihn interessiert.
Mit der Idee zu „Little Thirteen“ sei es ihm genauso gegangen wie mit „Weltstadt“, erzählt Christian Klandt bei einem Termin am Filmset: Das Thema habe ihn „gefunden“, gefesselt, schockiert und nicht mehr losgelassen. Auslöser war das Buch „Deutschlands sexuelle Tragödie“ von Bernd Siggelkow, dem Leiter einer Kinder- und Jugendeinrichtung in Berlin Marzahn-Hellersdorf.
Wie schon im Drama „Weltstadt“ baut Klandt seinen Plot auf wahren Begebenheiten auf. Diesmal sind es die Geschichten von Jugendlichen, die sie Christian Klandt und seiner Drehbuchautorin Catrin Lüth auf Workshops an Schulen und Freizeitzentren persönlich erzählt haben.
Im Film wird die Geschichte von den beiden Hauptdarstellern Muriel Wimmer und Antonia Putiloff getragen. Beide sind ein paar Jahre älter als ihre Filmcharaktere Sarah und Charly. Für beide bedeutet „Little Thirteen“ die erste große Kinohauptrolle, und die ersten intimen Szenen. „Sarah und Charly leben in einer ganz anderen Welt als wir“, sagt Muriel Wimmer den PNN über ihre Filmrolle. Aber viele Impulse und Gefühle kenne sie von sich selbst. „Nur würden wir ganz anders damit umgehen“, fügt sie mit ernstem Blick hinzu. Dass ihre Film-Mutter, gespielt von der Potsdamer Schauspielerin Isabell Gerschke – dem Fernsehpublikum seit 2010 bekannt als Polizeiruf-Kriminaloberkommissarin Nora Lindner in Halle – mit Sarah in einer Art Mädels-WG lebt und sich mit ihr über Sexpraktiken austauscht, war für Muriel Wimmer am befremdlichsten, als sie das Drehbuch gelesen hat.
Im Gegensatz zu den Mädchen kommen ihre Gegenspieler Lukas und Diggnsäck, gespielt von Jungschauspielern Joseph Bundschuh und dem Potsdamer Philipp Kubitza aus einem wohlhabenderen Umfeld. Auch das entspricht den Ergebnissen von Christian Klandts Recherchen. Der Mangel an Zugehörigkeitsgefühl existiere in reichen Villen ebenso wie in den Sozialbauten, in denen Charlys alleinerziehende und phlegmatische Mutter Ywonne, gespielt von der Schauspielerin und Kabarettistin Gisa Flake, auf dem Sofa liegt und puzzelt.
Unterstützt wird „Little Thirteen“ vom ZDF, Produzent ist der X-Filme-Mitgründer Stefan Arndt. Der Wahlbabelsberger bereitet bekanntlich gerade den nach eigenen Angaben teuersten deutschen Film aller Zeiten vor: Noch im Sommer dieses Jahres sollen die Dreharbeiten für „Der Wolkenatlas“ nach dem gleichnamigen Roman von David Mitchell mit Tom Hanks und Halle Berry in den Hauptrollen im Studio Babelsberg beginnen. Regie führt Tom Tykwer („Das Parfum“) zusammen mit den „Matrix“-Erfindern Andy und Lana Wachowski. Beide Filme sollen Anfang 2012 in die Kinos kommen.
, ine Zimmer
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