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Sport: Überraschte Bugfrau

Daniela Schultze vom RC Potsdam rudert ab Sonntag mit dem Achter bei den Olympischen Spielen

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Daniela Schultze ist immer als Erste im Ziel. Kein Wunder, denn die Ruderin des RC Potsdam sitzt im deutschen Achter der Frauen ganz vorn in der Spitze, wo sie das Ruderblatt in Fahrtrichtung backbord, von sich aus gesehen also rechts, durchs Wasser zieht. So auch bei den Olympischen Spielen in London, bei denen die 21-Jährige ab Sonntag rudern wird – ein bisschen zu ihrer eigenen Überraschung.

Vor einem Jahr noch trieb Daniela Schultze ihr Boot als Skullerin – also mit einem Ruder an jeder Seite – über die Gewässer. 2011 hatte sie nach zweifacher Ersatzrolle bei den Junioren- und den U 23-Weltmeisterschaften endlich bei den U 23- WM in Amsterdam im Doppelzweier Platz nehmen können und gemeinsam mit Mareike Adams aus Essen die Goldmedaille gewonnen. Auch im Olympiajahr hätte die Sportsoldatin noch in der U 23 rudern können – doch sie wollte mehr, nämlich möglichst nach London. „Niemand hätte mir aber garantieren können, dass ich das angesichts der starken Konkurrenz im Skull-Bereich auch schaffe“, sagt Daniela Schultze, die aus einer Cottbuser Ruder-Familie stammt – Vater Sven ist dort Trainer, Mutter Beate war einst DDR- Meisterin, Bruder Nikolas (13) rudert ebenfalls –, daheim 1999 beim jetzigen RSV mit diesem Sport begann und 2006 an die Potsdamer Sportschule kam.

Also wagte die jetzt bei Steffen Becker trainierende Lausitzerin im vergangenen Winter gemeinsam mit ihrer zwei Jahre älteren Klubkameradin Juliane Domscheit den Wechsel vom Skull- zum Riemenrudern. „Ich hatte das schon mal im Winter 2010 versucht, aber weil dann meine Partnerin Ilona Mann aus Potsdam mit dem Rudern aufhörte, hatte ich es wieder sein gelassen“, erzählt Schultze, die diesmal mit Domscheit mehr Glück hatte. Beide rauften sich ab Januar in den Trainingslagern zusammen. „Anfangs gab es Einheiten, in denen wir dachten, wir kentern gleich. Dann aber ging es immer besser“, erinnert sich die Umsteigerin. „Der Durchzug ist im Prinzip der gleiche wie beim Skullen, aber in der Auslage muss man sich eindrehen – und darauf vertrauen, dass die Partnerin das auch gut macht.“ Man müsse sich mehr aufeinander abstimmen als beim Skullen, „sonst fährt man im Kreis“.

Das Potsdamer Duo ruderte aber nicht im Kreis, sondern zunächst in den erweiterten Kaderkreis für den Achter, der sich Ende Mai beim Weltcup in Luzern schließlich in letzter Sekunde für Olympia qualifizierte. Da allerdings hatte Juliane Domscheit schon den Rollsitz verlassen müssen. Obwohl sie in der Vorbereitung des Achters auf die Olympia-Qualifikation die besten Kraftwerte aller Achter-Kandidatinnen gezeigt hatte, war die 23-Jährige Anfang Mai aussortiert worden, ohne Gründe dafür zu erfahren. Daniela Schultz kann das immer noch schwer verstehen: „Ich wundere mich, dass ich es geschafft habe, denn meine physischen Leistungen sind nicht sehr hoch. Jules sind viel besser.“

Gleichwohl konzentriert sich die Potsdamerin, die zu Beginn dieser Woche mit der gesamten deutschen Ruderflotte auf die Insel flog und ihr Zimmer im „Olympic Rowing an Canoe Sprint Village“ bezog, jetzt ganz auf die Vorbereitung des Achters auf den Vorlauf am kommenden Sonntag. Schließlich will sie auf dem Dorney Lake, auf dem seit Dienstag fleißig trainiert wird, gemeinsam mit Julia Lepke vom Rostocker Ruder-Club, Ronja Schütte vom Essen-Werdener Ruder- Club, Kathrin Thiem vom Hannoverschen RC, Ulrike Sennewald und Nadja Drygalla vom Olympischen Ruderclub Rostock, Kathrin Marchand vom RTHC Bayer Leverkusen, Constanze Siering vom RV Emscher Wanne-Eickel-Herten sowie Steuerfrau Laura Schwensen vom Ruderverein Kappeln möglichst erfolgreich sein. Soll heißen: „Wir werden schon über uns hinauswachsen müssen, um in das Finale einzuziehen“, glaubt Daniela Schultze. „Unser Abstand zur Weltspitze ist schon noch groß.“ Als Favoriten für die olympischen Medaillen sieht sie die Boote der USA, Kanadas, Neuseelands und Australiens.

Einen ersten Eindruck von der Leidenschaft der Briten für den Rudersport erlebten Daniela Schultze und ihre Teamkolleginnen Anfang Juli bei der traditionsreichen Henley Royal Regatta auf der Themse bei Henley-on-Thames. „Das war eine tolle Stimmung“, erinnert sich die Potsdamerin. „Wir waren froh, dort rudern zu dürfen, weil wir so zusätzliche Wettkampfpraxis sammeln konnten.“ Zumal die Crew an der Regattastrecke, auf der während der Olympischen Sommerspiele 1908 und 1948 die olympischen Ruderrennen ausgetragen wurden, nicht nur in ihren Rudereinteilern zu sehen waren, sondern auch in luftigen Sommerkleidern. Und Daniela Schultze, die durchaus das Zeug zum Model hat, stellte sich im dunkelblauen Kleid dem Fotografen. Auf der Themse gewann sie mit dem Achter etwa 30 Kilometer vom Dorney Lake entfernt zunächst gegen das Boot des englischen Leander Clubs und anschließend gegen das australische U23-Team, um im Finale den kanadischen B-Achter zu unterliegen. „Trotzdem hat es Riesenspaß gemacht“, meint die leidenschaftliche Skifahrerin, die am liebsten Kartoffelbrei mit Champignons isst und Bücher von Nicholas Sparks liest, „weil die immer gut ausgehen“, wie sie erklärt.

Nun hofft sie, dass auch ihrer Olympia- Premiere ein guter Ausgang beschieden ist. Erstmals richtig ernst wird es am Sonntag im Vorlauf um 11.50 oder 12 Uhr. Der Endlauf, das große Ziel des in diesem Jahr neu zusammengesetzten Achters, wird am kommenden Donnerstag um 13.30 Uhr gestartet. „Es ist schön für mich, dabei zu sein und ich freue mich schon tierisch auf die olympischen Rennen“, sagt Daniela Schultze. „Was jetzt kommt, ist alles Zugabe.“ Bei den Olympischen Spielen dabei zu sein, das sei schließlich „die beste Belohnung, die man für sein hartes Training bekommen kann. Davon träumt doch jeder wirkliche Leistungssportler“, meint die Potsdamerin, die glaubt, fehlende Kraft möglicherweise durch ein gutes Gefühl für Wasser und Boot wettmachen zu können. „Vielleicht“, sagt sie, „sitze ich deshalb ganz vorn im Bug, wo das Boot am meisten wackelt.“

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