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SAMSTAGScocktail: Um Himmelswillen

Und dann öffnet sich, mitten im Jahr, der undurchdringliche Dschungel der Ereignisse und die Zeit wird plötzlich weit und leer. Die Engländer nennen es darum auch „vacations“, die Franzosen sagen „les vacances“, die Italiener „vacanza“.

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Und dann öffnet sich, mitten im Jahr, der undurchdringliche Dschungel der Ereignisse und die Zeit wird plötzlich weit und leer. Die Engländer nennen es darum auch „vacations“, die Franzosen sagen „les vacances“, die Italiener „vacanza“. Verglichen mit seinen Nachbarn in Europa ist das deutsche Wort Urlaub verblüffend. Vor ein paar Hundert Jahren hieß es noch urloup. Was so viel meinte wie die Erlaubnis, sich zu entfernen. Ein Höherstehender gewährte sie einem, und man entschwand. Wer sich entfernt, nimmt nicht mehr teil am Rhythmus, an der Zeit der Welt. Er taucht in seine eigne ein. Eine gleichermaßen erleichternde wie belastende Sache. Als Bertolt Brecht mit seiner Familie für die Ferien auf der Insel Capri weilte, soll er sich nach zwei Tagen schon unwohl gefühlt haben. Das Urlauberdasein war eine ungeheure Anstrengung für ihn. Und als ihm dann noch ein Freund vorschlug, nach Rom zu fahren und durch die Stadt zu schlendern, reiste er mit den Worten „Um Himmelswillen“ wieder ab, zurück nach Berlin. Die Leichtigkeit des Nichtstuns tat ihm auf merkwürdige Weise weh, oder besser: Er fühlte sich von dem, was weh tun könnte, beunruhigend abgeschnitten. Weil ihn in dieser Leichtigkeit nichts mehr ergreifen konnte, wurde er sich sozusagen gleichgültig. Und wer nicht ergriffen ist, langweilt sich.

Urlaub machen will gekonnt sein. Brecht war Freiberufler, und die leiden in dieser Hinsicht besonders. Nicht nur, dass sie sich täglich selbst eine Arbeit geben müssen, sie müssen sich auch selbst beurlauben, sich also selbst die Erlaubnis erteilen, sich zu entfernen. Was aber, wenn die Lust an der Arbeit sich ständig und auf heimliche Weise mit dem Gedanken der Pflicht vermengt? Such dir einen Beruf, den du liebst, und du musst nie wieder arbeiten, heißt es. Vermutlich eine chinesische Weisheit. Für chinesische Weise ist das Thema Urlaub sicher niemals relevant. Kopf- und Sprachtiere interessiert das völlige Abschalten des Denkapparates naturgemäß nicht. Sie tüfteln so lange, bis sie auch die letzte Weisheit noch widerlegt oder verändert haben, um an die Stelle die eigene zu setzen. Such dir einen Beruf, den du liebst, und du brauchst nie wieder Urlaub.

Unsere Autorin lebt in Potsdam. Zuletzt erschien von ihr der Roman „Selbstporträt mit Bonaparte“.

Julia Schoch

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