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Landeshauptstadt: Uneiniges Gedenken

Stadt, Politik und Opferverbände streiten über den richtigen Platz für die Erinnerung an den Holocaust. Rathaus schlägt ehemaligen Synagogenort vor

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Innenstadt - Über den authentischen Ort für ein Holocaust-Gedenken in Potsdam besteht weiter Uneinigkeit. Am gestrigen Sonntag wurden sowohl am Standort der alten Synagoge am Platz der Einheit sowie im Innenhof der Lindenstraße 54 Kränze und Blumen niedergelegt. Außerhalb der Lindenstraßen-Gedenkstätte protestierte die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) gegen die Veranstaltung im Innenhof vor der Skulptur „Das Opfer“. In einem Flugblatt heißt es: „Wir protestieren gegen die Vereinnahmung der NS-Verfolgten durch die Fördergemeinschaft Lindenstraße 54.“ Gegen 18 Uhr erinnerten noch mehrere linke Gruppen wiederum am Platz der Einheit und anschließend am sowjetischen Friedhof auf dem Bassinplatz an die Befreiung von Auschwitz.

Lindenstraßen-Vereinschef Claus Peter Ladner betonte in seiner Ansprache, die Bronzefigur von Wieland Förster sei im Jahre 1995 „für alle Opfer“ von Diktaturen aufgestellt worden. Gegen ein solches „Sammelgedenken mit Unterstützung des Oberbürgermeisters“ wendet sich die VVN-BdA. Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) war aber bei keiner der Veranstaltungen anwesend. Jakobs sei krank, sagte die Sozialbeigeordnete Elona Müller-Preinesberger (parteilos). Sie verlas an beiden Orten fast gleichlautende Gedenkworte und machte auf den bevorstehenden 80. Jahrestag des „Tags von Potsdam“ am 21. März aufmerksam. „Wir werden alles tun, damit der rechte Mob diesen Tag nicht für seine Zwecke nutzen kann“, versicherte die Beigeordnete.

Etwa 40 Menschen hatten sich Sonntagvormittag vor der Gedenktafel der ehemaligen Synagoge am Platz der Einheit 2 zum Holocaust-Gedenken versammelt. Der 27. Januar ist seit 1996 nationaler Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus. An diesem Tag im Jahre 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee die Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau in Südpolen.

Vanessa Brücher, Schülerin einer elften Klasse der Voltaire-Gesamtschule, erinnerte in lebendigen Worten an die Mitarbeit von vier Potsdamer Schulen an der Erforschung der Lebensdaten und Schicksale jüdischer Familien. Sie erwähnte insbesondere Samuel Guttmann, den Oberkantor der Synagoge. Guttmann war am 28. Oktober 1942 mit 63 Jahren gemeinsam mit 99 weiteren Menschen aus Berlin in das Lager Theresienstadt deportiert worden. Ein halbes Jahr später, am 17. Mai 1943, war er dort gestorben. An sein Schicksal erinnert am Platz der Einheit 2 ein bronzener „Stolperstein“ des Kölner Künstlers Gunther Demnik.

Die Synagoge wurde laut Inschrift in der Nacht des 9. November 1938 von den Faschisten ausgeplündert und zerstört. Beim britischen Luftangriff auf Potsdam am 14. April 1945 traf eine Brandbombe das Gebäude. An seiner Stelle errichtete die Genossenschaft „Karl Marx“ später ein Wohnhaus. Vor der Gedenktafel legte auch Marcus Pilarski von der VVN-BdA ein weißes Rosen- und Nelkengebinde nieder. „Das ist hier ein authentischer Ort für diesen Tag, nicht die Lindenstraße 54“, sagte er gegenüber den PNN.

Die Stadtverwaltung sieht das ähnlich. Künftig wolle die Stadt vor der ehemaligen Synagoge eine Holocaust-Gedenkveranstaltung für alle Potsdamer ausrichten, sagte Müller-Preinesberger. „Heute ist kein Tag, den man haarspalterisch an den wenigen Unterschieden in der Gedenkarbeit unterschiedlicher Gruppen festmachen sollte“, sagte Müller-Preinesberger. Dagegen brachte Linke-Fraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg die Gedenkstätte für die Opfer des Faschismus mit der Flammenschale am Platz der Einheit ins Gespräch: „Das ist der beste Ort.“

An den beiden offiziellen Gedenken nahmen fast ausschließlich Vertreter der Parteien, der Stadtverwaltung sowie von Vereinen und Organisationen teil. Aus der jüdischen Gemeinde war niemand dabei. Kulturstaatssekretär Martin Gorholt (SPD) vermutete eine Panne bei der Einladung. Doch Müller-Preinesberger sagte, dass an die kirchlichen und jüdischen Gemeinden Einladungen verschickt worden seien. Günter Schenke

Günter Schenke

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