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Rüdiger Zill über die erste Liebe, echte Gefühle und den süßen Schmerz des Liebeskummers „Die Liebe ragt aus allen Emotionen heraus“ „Beim ersten Mal passiert etwas Unerwartetes“
Stand:
Herr Zill, können Sie sich noch an Ihre erste Liebe erinnern?
Ja. Aber das halte ich mit dem Schriftsteller Joseph Roth, ich erzähle nichts davon.
Wie erinnern wir uns überhaupt an die erste Liebe?
Dazu muss man nicht lange überlegen. Die meisten Menschen haben ein intuitives Gefühl dafür, wer oder was das für sie war. Ein Gefühl, das in einer sonst unerreichten Intensität am Horizont erscheint. Das kann man je nach Fall nachträglich auch als Ablösungsprozess von den Eltern betrachten. Man macht dabei zum ersten Mal etwas ganz Verrücktes, etwa einem Umweg auf dem Schulweg, der oder des Angebeteten wegen. Man selbst sieht das in dem Moment natürlich nicht, das wird ausgeblendet. Die erste Liebe füllt alles aus, da hat kaum eine andere Empfindung Platz. Es gibt aber auch Menschen, die von sich sagen, sie hätten nie eine erste Liebe dieser Art gehabt.
Die allererste Liebe, ist das nicht die Mutter, der Vater, das Kindermädchen?
Das ist das, was die Psychoanalyse sagt. Nicht umsonst hat Heintje davon gesungen, dass seine Mutter nicht um ihn weinen soll. Da liegt sicherlich viel Prägung drin. Aber dafür, was wir mit erster Liebe meinen, ist das nicht relevant. Nicht in diesem Moment des Erlebens. Wir leben ja drauf los.
Ist die erste Liebe auch die wahre Liebe?
Häufig glaubt man es, in der Praxis ist das natürlich meist nicht der Fall. Das ist mehr der Mythos der ersten Liebe, dem wir aber in unserer Kultur überall begegnen. Dieser Mythos ist sehr aufgeladen. Eines der Klischees dieses kulturellen Topos besagt, dass es die wahre Liebe sein soll. Und dann stellt man sich darunter eine Liebe vor, an die keine spätere mehr herankommt. Das muss übrigens gar keine erwiderte Liebe sein, in der Literatur – und auch im Leben – ist es sehr häufig eine einseitige Liebe, eine Verehrung aus der Ferne, ein Begehren, das sich vor allem in der Fantasie abspielt, das aber so intensiv war, dass man das verklärt. Es geht dabei immer um ein ganz tiefes Empfinden.
Woher rührt diese mythenhafte Aufladung des Begriffs?
Die erste Liebe ist eines der ganz wenigen Gefühle, das wir zu einem Zeitpunkt erleben, in dem wir eine halbwegs ausgereifte Persönlichkeit sind. Wir sind dabei schon wach. Die erste Angst haben wir wahrscheinlich bei der Geburt, auch der erste Zorn wird sich sehr früh in uns melden. Diese wie auch die meisten Gefühle begegnen uns, wenn wir noch nicht darüber nachdenken. Auch wenn sich das Mitleid einstellt, mit ungefähr zwei Jahren, ist man noch nicht so richtig bei sich. Daher ist die Liebe das einzige Gefühl, das uns mit Macht trifft, wenn wir uns daran erinnern können. Ein weiterer Grund für die Besonderheit dieses Gefühls ist, dass die Liebe aus allen Emotionen herausragt. Sie ist das Gefühl mit der höchsten Bedeutung für uns, die große Sehnsucht, die gesuchte Erfüllung.
In den meisten Fällen dürfte die erste Liebe mit Liebeskummer verbunden sein.
Nicht unbedingt. Wenn die erste Liebe eine Bewunderung aus der Ferne ist, ist ein Moment der Unerfüllbarkeit schon vorgegeben. Man kann dann mit diesem Schwärmen ganz zufrieden sein. Im Gegenteil, manchmal weiß man noch gar nicht, wie es weitergehen sollte und wäre überfordert, würde sie erhört. Später will man natürlich auch geliebt werden. Wenn man dann nicht erhört wird, fühlt man sich auch ein wenig wie ein Opfer. Das muss nicht unbedingt negativ sein, darin kann man sich auch wohlfühlen. Man sonnt sich in diesem süßen Schmerz. Wenn der oder die Geliebte mit einem anderen vorlieb nimmt, erzählt man sich lange Geschichten vom heroischen Verzicht, so kann man sich auch als Held fühlen.
Sie interessieren sich vor allem für die Sprache, die wir für die erste Liebe bemühen.
Das ist die interessante Frage. Bei der ersten Liebe hat man noch keine Sprache dafür, nicht wie bei der vierten oder fünften Liebe, wo wir dann ein Modell dafür haben. Beim ersten Mal passiert etwas Unerwartetes, dann suchen wir einen Ausdruck dafür. Was wir noch nicht in Worte oder auch in Bilder fassen können, verstehen wir an uns selbst noch nicht. Dann wenden wir uns an Ratgeber, sprechen mit Freunden, schauen Filme, lesen in der Literatur nach. Oft fragen wir uns dann: Ist es das, was ich fühle? Oder auch: Soll es das jetzt gewesen sein? Damit übernehmen wir natürlich gerade auch die kulturell vorgeprägten Muster und bilden uns in sie hinein. Durch die erste Liebe beginnen wir vielleicht zum ersten Mal, uns selbst als Persönlichkeit „zu erzählen“, uns eine eigene Geschichte zuzuschreiben und uns damit von denen unserer Eltern abzusetzen.
Was ist der kulturelle Hintergrund dieses Phänomens?
Bei uns ist der Topos der ersten Liebe gewachsen durch eine bestimmte Gefühlskultur, die mit dem Zeitalter der Empfindsamkeit entstanden ist, also im 18. Jahrhundert. Das kann man heute noch sehr deutlich an den literarischen und künstlerischen Spuren unserer Kultur sehen. In traditionellen Gesellschaften war die Ehe oft ein Zweckbündnis, aus ökonomischen oder gesellschaftlichen Notwendigkeiten geschlossen, nicht selten sogar arrangiert. Erst wenn wir verlangen, dass wir uns nur aus Liebe binden sollen, was wir seit der romantischen Literatur immer wieder hören – heute selbst in psychologischen Ratgebern oder der Werbung –, dann erhält auch „das erste Mal“ eine ungeheuere Bedeutung.
Sie haben drei Tage mit internationalen Wissenschaftlern über dieses Gefühl nachgedacht. Welche Relevanz hat die Beschäftigung mit dem Thema heute?
Gerade weil wir in einer Gefühlskultur leben, in der die Liebe so hoch bewertet wird, ist die Frage nach den Hintergründen allgemein von großem Interesse. Die Frage, wie wir gefangen sind zwischen den Klischees, die uns umgeben und den Erfahrungen, die wir wirklich gemacht haben, steht ganz vorne. Die erste Liebe hat auch eine so hohe Relevanz, weil es ein Modellfall ist. Gerade weil uns dies – wie gesagt – in einer Lebensphase begegnet, in der wir uns selbst schon sehr bewusst sind, kann man daraus vielleicht etwas lernen. Und zwar über die Entstehung und den Umgang mit anderen Gefühlen, bei deren erstem Auftreten wir geistig noch nicht so präsent waren.
Und am Ende ist alles doch nur der Ablauf chemischer Prozesse, ein Konstrukt, eine Einbildung?
Ich finde diese Art Opposition immer falsch. Natürlich gibt es biologische Prozesse, die dahinter stehen. Aber wir sind umgeben von Figuren, Erzählungen und Vorbildern, die wir aufnehmen. Insofern ist die erste Liebe tatsächlich eine Einbildung. Wir nehmen die kulturellen Bilder davon in uns auf, bilden sie in uns hinein und uns selbst nach ihnen. Das heißt aber nicht, dass es ausschließlich eine Illusion ist. Das Gefühl ist echt. Daher macht es keinen Sinn zu fragen, ob sie eine Fiktion ist. Bedeutend für uns ist, dass es unseren Horizont ausfüllt und unsere Handlungen leitet. Das macht die Sache so bedeutend. Und so spannend.
Das Gespräch führte Jan Kixmüller
Rüdiger Zill ist wissenschaftlicher Referent am Potsdamer Einstein Forum. Er hat die Tagung „First Love on second thought“ konzipiert, die am vergangenen Wochenende stattfand.
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