Von Dirk Becker: Unfreiwilliges Ende
Marijke van Straten reiste im September in die USA. Zwölf Monate wollte sie bleiben. Dann kam die Finanzkrise
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Diese Stadt hat sie gepackt. Nicht behutsam über Tage und Wochen hinweg. Als Marijke van Straten am 9. September in San Francisco aus dem Flugzeug stieg, hat die Stadt sie förmlich an sich gerissen. Und sie hat es geschehen lassen. Es war wie ein Ankommen nach jahrelanger Suche. Zwölf Monate wollte Marijke van Straten in San Francisco bleiben. Dann kam die Finanzkrise.
Vor zweieinhalb Wochen ist Marijke van Straten wieder in Deutschland gelandet. Sie kam zurück nach Potsdam, ohne Wohnung, ohne Arbeit und einem Berg Schulden. „San Francisco war wie das Paradies“, sagt Marijke van Straten. Nach zwei Monaten sei sie aber schon wieder daraus vertrieben worden. „Ohne dass ich in den Apfel gebissen habe.“
Der Vergleich mit dem Paradies wirkt im ersten Moment stark übertrieben. Doch je länger das Gespräch mit Marijke van Straten dauert, umso deutlicher wird, wie wichtig diese Reise in die USA, wie wichtig dieser Schritt hin zu einer Veränderung für die 25-Jährige gewesen ist. Und wie schwer es wiegt, wenn innerhalb weniger Tage sämtliche Perspektiven in Trümmern liegen.
Marijke van Straten war über die Ayusa International Agentur als Au pair nach San Francisco gereist. Ayusa International gehört zur amerikanischen Organisation Intrax Cultural Exchange, die seit mehr als 25 Jahren im internationalen Austausch tätig ist und ein Netz von Partnern in 80 Ländern aufgebaut hat. Allein in diesem Jahr hat die Agentur knapp 1000 Au pairs in Gastfamilien in den USA unterbringen können. Eine davon war die Potsdamerin Marijke van Straten.
„Mein Leben vor der Reise in die USA erschien mir wie ein Sackgasse.“ Nach dem Abitur hatte Marijke van Straten zwei Semester an der Fachhochschule Potsdam studiert, aber schnell gemerkt, dass dies nicht ihr Weg ist. Sie hat keine Ausbildung begonnen, sondern in einem Buchladen gearbeitet. Je länger sie dort arbeitete, umso schwerer erschien ihr der Schritt, doch noch eine Ausbildung zu beginnen, wieder bei Null anzufangen. Doch ihre Unzufriedenheit wuchs. Etwas musste geschehen, und Marijke van Straten entschied sich für einen starken Schnitt, für eine Auszeit in den USA.
Sie bewarb sich bei der Ayusa International Agentur, zahlte die Vermittlungsgebühr von 400 Euro, absolvierte die 200 Stunden Praktikum bei der Betreuung von Kindern unter zwei Jahren und wurde an eine Gastfamilie in San Francisco vermittelt. „Ich hatte anfangs gedacht, dass es für mich schwierig seine würde, eine Gastfamilie zu finden“, sagte Marijke van Straten. Sie ist Veganerin, ernährt sich ohne tierische Produkte, allein auf pflanzlicher Basis. „Doch war das überhaupt kein Problem.“ Sie erhielt zahlreiche Angebote und reiste dann am 2. September in die USA zu einer mehrtägigen Schulung. Schon da erlebte sie die Ayusa International Agentur von der negativen Seite, war das tägliche Essen immer mit Problemen verbunden. Doch San Francisco entschädigte sie für alles.
„Die Menschen in dieser Stadt sind so freundlich und herzlich.“ Innerhalb weniger Tage hatte Marijke van Straten viele neue Bekannte, in der Gastfamilie, wo sie zehn Stunden am Tag zwei Kinder betreute. Sie fühlte sich wohl und wurde sehr gemocht. Doch nach zwei Monaten teilte ihr die Familie mit, dass sie aufgrund der Finanzkrise die Kosten für ihre Aupair-Stelle nicht mehr zahlen konnten. Innerhalb von zwei Wochen musste sie eine neue Gastfamilie finden, sonst würde ihr Visum ungültig.
Marijke van Straten setzte sich mit ihrer Ansprechpartnerin in San Francisco in Verbindung, die ihr versprach, sie sofort in das Vermittlungsprogramm aufzunehmen. Fünf Tage lang passierte nichts. Als sie fragte, ob die Agentur die Kosten für ihren Rückflug übernehmen wird, da sie nicht selbst verschuldet die Gastfamilie verlassen musste, gab man ihr die Antwort, dass dies nicht möglich sei, denn sonst müsste Ayusa International das bei jedem tun. Als sie nach elf Tagen noch immer keine neue Gastfamilie hatte, bat sie eine Freundin, ihr das Geld für einen preiswerten Flug zu leihen.
Gegenüber den PNN bedauert Ayusa International die Situation, in der sich Marijke van Straten jetzt befindet. „Marijke hat sich ohne die zuständige regionale Betreuerin zu informieren, noch während wir nach einer alternativen Gastfamilie gesucht haben, dafür entschieden, vorzeitig die USA zu verlassen und auf eigene Kosten nach Deutschland zurückzufliegen“, sagte Jörn Gutowski von Ayusa International. Auch das Berliner Büro, das ihr unterstützend zur Seite gestanden hätte, habe sie nicht kontaktiert. Trotzdem wolle man mit ihr klären, warum das übliche Vermittlungsverfahren in ihrem Fall nicht zum Erfolg geführt habe. Für die Kosten des Rückfluges gäbe es klare Regelungen. „Für den Fall, dass keine neue Gastfamilie gefunden werden kann, sieht unser Vertrag vor, dass das Au pair seinen Rückflug selbst zahlen muss“, so Gutowski.
Zurzeit schläft Marijke van Straten auf der Couch ihrer Eltern. Sie ist auf Arbeits- und Wohnungssuche und will bis Januar eine eigene Bleibe gefunden zu haben. „Ich bin voll Enthusiasmus und der Hoffnung in die USA gereist, dort zwölf Monate zu bleiben. Jetzt bin ich wieder hier und stehe vor dem Nichts.“ Doch sie schaut nach vorn, hat das überwältigende Gefühl aus San Francisco mitgebracht und will ihr altes Leben hinter sich lassen.
Dirk Becker
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