Landeshauptstadt: Unglücksbahn war älteres Modell
Tram-Unfall: Schweigeminute beim ViP für getöteten Jugendlichen / Freunde organisierten Trauermarsch
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Bornstedter Feld/ Innenstadt - Die Tatra-Straßenbahn, die in der Nacht zum Samstag einen 17-Jährigen überfahren und dabei getötet hat, gehörte zu ältesten Modellen dieses Typs, die auf Potsdams Schienen zur Zeit unterwegs sind. Dies bestätigte Stefan Klotz, Sprecher der Verkehrsbetriebe (ViP), gestern den PNN.
Der ViP steht wegen des Unfalls in der Kiepenheuer Allee unter öffentlichem Druck. Die Potsdamer Staatsanwaltschaft ermittelt zur Zeit die Ursache des Unfalls, schließt fahrlässige Tötung nicht aus – und beschäftigt sich deswegen auch mit der Funktionsfähigkeit der Unfallbahn älteren Jahrgangs. Denn laut ViP–Sprecher Klotz seien Kameras nur in den neueren Tatra-Straßenbahnen der ViP eingebaut – in den älteren Bahnen aus Kostengründen jedoch nicht. Wie groß die Zahl oder der Anteil solch alter Bahnen ohne Kameras ist, vermochte Klotz gestern nicht zu sagen. „Dies heißt jedoch nicht, dass die Sicherheit in diesem Bahnen nicht gewährleistet ist“, sagte Klotz. Auch widersprach er Vermutungen, die fragliche Bahn habe nur eine eingeschränkte Betriebsgenehmigung besessen oder sei an dem Abend nur zusätzlich als Verstärkung für die Besucherströme der gerade beendeten Feuerwerkersinfonie eingesetzt worden. „Entweder haben unsere Bahnen eine Genehmigung und fahren – oder sie haben keine und fahren nicht“, so Klotz. Zudem könne eine Kamera einem Tramfahrer nicht den prüfenden Blick in den Rückspiegel ersetzen, betonte Klotz. Die Stadtwerke würden weiter alles tun, um an der Aufklärung des Unfalls mitzuwirken und dafür Sorge zu tragen, dass sich ein solches Ereignis nicht wiederholen kann.
Das Unfall-Opfer hieß Marc-Philip und wohnte im Stadtteil Zentrum-Ost. Mit einer Schweigeminute gedachten gestern um 13 Uhr Mitarbeiter der Potsdamer Verkehrsbetriebe dem verstorbenen Jugendlichen. So hielten in der Innenstadt mehrere Busse an, die Türen öffneten. Eine Stimme rief über die Innenlautsprecher zum Gedenken an den Toten auf. Zur selben Zeit legten ViP-Geschäftsführer Martin Weis und Vize-Betriebsratschef Uwe Rockholz Blumen an der Unglücksstelle nieder.
Ebenso gegen 13 Uhr sammelten sich auf dem Platz der Einheit etwa 70 vornehmlich junge Leute, um zum Unfallort in die Kiepenheuer Allee zu gehen. Die Gruppe stammte – wie Marc-Philip selbst – überwiegend aus der links-alternativen Szene. Während ihres unangemeldeten Trauermarschs wurden die Trauernden zeitweise von der Polizei begleitet, jedoch blieb die Situation friedlich. Eine Teilnehmerin sagte, dass die Mutter des toten Jungen Zeugenaussagen sammele und die Ermittlungen genau verfolge.
Denn die Umstände des Todes von Marc-Philip sind weiter unklar. Die Potsdamer Staatsanwaltschaft hat zwei Gutachten beauftragt: So werden für Ende der Woche die Ergebnisse der Obduktion des Leichnams erwartet, die unter anderem zeigen sollen, ob der Junge vor dem Unfall betrunken war. Die Ergebnisse einer Untersuchung der technischen Prüfstelle Dekra über mögliche Mängel an der Unglücksbahn sollen entgegen einem anders lautenden Medienbericht frühestens im August feststehen. Den Zeitraum für beide Untersuchungen bestätigte gestern Christoph Lange von der Potsdamer Staatsanwaltschaft: „Ein Dekra-Gutachten dauert mehrere Wochen.“ Ebenfalls habe sich der Fahrer der Unfallbahn noch nicht zu dem Geschehen geäußert.
Bei dem Trauermarsch waren Fragen nach Schuld, Teilschuld oder Unschuld allerdings nicht bestimmend. Die Teilnehmer schilderten ihren Freund als „netten“ und „lebenslustigen Kerl“, als einen, der als Punk oft zu Partys der linken Szene gegangen sei. Zwar habe er manches Mal auch „Scheiß“ gebaut, aber wegen seiner lieben Art habe man ihm deswegen nie wirklich böse sein können. Einer seiner Lieblingstreffpunkte sei das „Archiv“ in der Leipziger Straße gewesen, das bekannteste links-alternative Kulturzentrum der Stadt. Einer der Teilnehmer sagte: „Wir alle sind zwar nicht schwarz angezogen, aber genau so hätte er den Abschied wohl gewollt: Bunt.“ H. Kramer
H. Kramer
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