HEYES Woche: Unworte des Jahres
Wenn ich es richtig erinnere, dann ist „alternativlos“ das Unwort des Jahres 2010. Ein Begriff, der uns unmittelbar die Weltfinanzkrise und ihren wohl auslösenden Faktor, die Gier in den Chefetagen der Banken, vor Augen führt.
Stand:
Wenn ich es richtig erinnere, dann ist „alternativlos“ das Unwort des Jahres 2010. Ein Begriff, der uns unmittelbar die Weltfinanzkrise und ihren wohl auslösenden Faktor, die Gier in den Chefetagen der Banken, vor Augen führt. Die Kanzlerin befand, dass die milliardenschwere Rettung der Banken und ihrer Manager „alternativlos“ sei. Aber auch Gesundheitsreform, Ausbau des Frankfurter Flughafens, Stuttgart 21: Alles „alternativlos“.
Nun könnte es sein, dass wir zu Beginn des Jahres 2011 aus der Abteilung Werte und Normen gleich drei Unworte geliefert bekommen, die für das laufende Jahr stehen könnten: „Ehrlichkeit, Redlichkeit, Wahrhaftigkeit“. Auch hierzu hat die Kanzlerin eine klare Position: Sie hält den Dreiklang dieser Charaktereigenschaften in der politischen Arena offenbar für verzichtbar. Jedenfalls liegt dies nahe, seit sie den geistigen Diebstahl in zahllosen Fällen in der Doktorarbeit von Baron Guttenberg für ihn als Minister als unbeachtlich betrachtet. Schließlich habe sie ja keinen wissenschaftlichen Assistenten, sondern einen Verteidigungsminister berufen. Nun können wir nur hoffen, dass die Studenten der Bundeswehr-Hochschule sich ihn – wegen seiner akademischen Moral – nicht zum Vorbild nehmen.
Noch gehen die Anhänger des Barons der Herzen nicht von der Fahne, weil sie hinter all dem eine große Intrige vermuten, von politischen Neidern und Medien inszeniert. Und in der Tat, dieser Mann ist zuvor von den gleichen Medien so sehr in den Himmel gehoben worden, dass der Schrecken groß ist über den zu beobachtenden rasanten freien Fall des Hoffnungsträgers. Da ist die Frage, ob dies alles mit rechten Dingen zugegangen ist, schon verständlich. Der Anteil der Medien an diesem erschreckenden Gesamtkunstwerk der Abwertung aller Werte sollte Lesern wie Leitartiklern zu denken geben.
Es ist eine Frage der Zeit, bis diese Posse auch auf das Konto zunehmender Politikverdrossenheit einzahlt. Schon jetzt gehen immer weniger wählen: Der Hamburg-Wahl blieben über 40 Prozent der Wähler fern. Und wenn sich Brandenburger Politiker weiter hinter hohen Bauzäunen verbarrikadieren und das Volk von der Identität stiftenden Grundsteinlegung zum Bau des Landtages ausschließen, wird es bei künftigen Wahlen hier auch nicht anders sein. Dem ist nur beizukommen, wenn sich geschriebene und gelebte Verfassung einander wieder annähern. Wie es heißt es doch: „Alle Macht geht vom Volke aus.“ Und: „Parteien wirken an der Willensbildung des Volkes mit.“ Sie wirken mit, sie ersetzen sie nicht.
Uwe-Karsten Heye schreibt an dieser Stelle regelmäßig für die PNN. Unser Autor war Redenschreiber bei Willy Brandt und Regierungssprecher von Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder. Heute lebt Heye mit seiner Familie in Babelsberg und arbeitet dort als Autor und Publizist.
Uwe-Karsten Heye
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: