Von Peer Straube: Urlaub beim Volksaufstand
Günther Kruse hat die Revolution in Ägypten auf einer Ferienreise miterlebt. Die frühere Ausländerbeiratschefin Hala Kindelberger, die aus Ägypten stammt, bangte in Potsdam mit
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Für Günther Kruse sind die Parallelen offensichtlich. „Ich habe mich gefühlt wie 1989“, sagt er. Kruse ist damals auf die Straße gegangen, hat demonstriert gegen die SED, das System. So wie ganz Osteuropa, das nach und nach seine kommunistischen Despoten zum Teufel jagte.
Die Geschichte wiederholt sich. Erst Tunesien, dann Ägypten. Eine Woche ist es her, dass Nordafrikas einst größte Hochkultur seinen letzten Pharao vom Thron stürzte. Und der Potsdamer Günther Kruse, Mitarbeiter des Bildungsministerium, war dort, als Hosni Mubarak seinen Hut nehmen musste. Nicht in Kairo, nein. Eine normale Urlaubsreise im Lande des Nils, Luxor, Assuan, der Badeort Hurghada standen auf dem Programm und natürlich eine Kreuzfahrt auf dem längsten Strom der Welt. 14 Tage insgesamt. Zwei Wochen, in denen sich ein Land komplett veränderte.
Während Heerscharen von Touristen Ägypten den Rücken kehrten, reisten Kruse und sein Sohn Martin sehenden Auges hin. „Als wir am 29. Januar abflogen, gab es vom Auswärtigen Amt noch nicht einmal eine Teilreisewarnung“, sagt er. „Da dachte ich mir: Nur zu!“ Im Hotel in Hurghada erwartete sie gähnende Leere. Nur 80 Reisende bewohnten die 1800- Betten-Burg. Die Auswirkungen bekam Kruse hautnah mit. Angestellte mussten entlassen werden, die zahllosen Händler blieben auf ihren Waren sitzen. Dennoch sei die Stimmung auch in Hurghada und Luxor „unglaublich euphorisch“ gewesen, erzählt Kruse.
Während Kruse das Geschehen vor Ort verfolgen konnte, bangte gleichzeitig eine Ägypterin in Potsdam um ihre Angehörigen. Hala Kindelberger, Diplomsoziologin und langjährige Chefin des Ausländerbeirats, saß den ganzen Tag am Computer und am Telefon. Auch jetzt noch, nach Mubaraks Rücktritt, ist das so. Freunden und Verwandten gehe es gut, sagt sie und es klingt erleichtert. Doch der von den Massen erzwungene Rücktritt des Präsidenten reicht ihr nicht. „Mubarak muss vor Gericht gestellt werden“, sagt sie. Und das Geld, das er beiseite geschafft hat, müsse eingezogen werden. „Wir brauchen diese Milliarden für den Neuaufbau.“
Und bei dem hilft sie von Potsdam aus mit. Über verschiedene Online-Netzwerke ist sie in ständigem Kontakt mit den Protagonisten vor Ort. Ihre Unterstützung gilt vor allem Mohammed el-Baradei, dem früheren Chef der Internationalen Atomenergiekommission. Kindelberger wünscht sich ihn als neuen Präsidenten. „Er würde dafür sorgen, dass das alte Regime an der Wurzel gepackt wird“, glaubt sie. Weitreichende Verfassungsänderungen müssten nun her, nie wieder dürfe ein Präsident eine derartige Macht haben. Die Armee müsse der Kontrolle des Parlaments unterstellt werden, für den Präsidenten die Möglichkeit eines Amtsenthebungsverfahrens in der Verfassung verankert werden, fordert Kindelberger. Ihre Familienangehörigen wollen heute an der angekündigten Großdemonstration für eine schnelle Einführung der Demokratie teilnehmen, die auf dem Tahrir-Platz in Kairo stattfinden soll. Noch macht sich auch Kindelberger Sorgen. Alle Minderheiten in Ägypten müssten in den Prozess einbezogen werden, radikale Islamisten dürften keinesfalls die Oberhand gewinnen. „Wir wollen keinen Staat, in dem nach der Scharia Recht gesprochen wird.“
Auch Günther Kruse ist noch unsicher bei seiner Zukunftsprognose. Er habe den Eindruck gehabt, dass die Mehrheit keinen islamischen Staat wolle. „Es wird darauf ankommen, wie sich das Militär verhält“, sagt er. Mut macht ihm eine Begegnung mit dem Kommandeur eines Schützenpanzerwagens in Luxor. „Das war ein ganz junger Mann“, erinnert sich Kruse. „Er hat zu uns gesagt: ’In einem Krieg gibt es nur Verlierer’.“ Kruse hat die Weisheit des jungen Mannes sehr beeindruckt. „Da habe ich mir gesagt, wenn das der Geist des Offizierskorps ist, dann ist das Land bis zu freien Wahlen in guten Händen.“
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