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Von Guido Berg: Utopia am Pfingstberg

Sozialprojekt „Fliedergarten“: Hartz-IV-Betroffenen-Chef Weber verklagt Kleingarten-Chef Niehaus

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Nauener Vorstadt - Es ist eine Insel Utopia, wie sie Thomas Morus kaum besser beschrieben hat: Am Fuße des Pfingstberges, auf 6600 Quadratmetern bestem Potsdam, sollte ab 2007 den Ärmsten der Armen, den Hartz-IV-Empfängern, ein Paradiesgarten erblühen, allein aus der Kraft der eigenen Hände Arbeit. Der Name „Fliedergarten“ war schnell gefunden, schließlich wachsen auf dem städtischen Grundstück die mit 80 Jahren ältesten Fliederbüsche Potsdams. Die Vision ist gut, die Realität eine andere: Was ein Miteinander werden sollte, ist ein Gegeneinander geworden. Die beiden Hauptkontrahenten, Jürgen Weber, Vorsitzender des Vereins der Hartz-IV-Betroffenen, und Friedrich Niehaus, Vorsitzender des Kleingartenverbandes, sind heillos miteinander zerstritten. Der Streit gipfelt nun in einer Anzeige „wegen übler Nachrede“, die Weber gegen Niehaus gestellt hat. Staatsanwalt Tom Köpping bestätigte gestern den PNN den Eingang der Anzeige: „Wir prüfen, ob ein Anfangstatverdacht vorliegt.“

„Tatort“ ist die Wilhelmgalerie, erklärte Niehaus, Sitz der PNN, denn Weber klagt gegen Behauptungen von Niehaus, die in einem PNN-Artikel wiedergegeben wurden. Niehaus hatte erklärt, der Hartz-IV-Verein und der Sekiz e.V. hätten sich zerstritten. Niehaus stand gestern zu dieser Aussage, Weber sagte, das sei „Schwachsinn“. Beim Sekiz e.V. hieß es lediglich kurz, der Sekiz e.V. habe mit dem Fliedergarten nichts mehr zu tun; alle Projekte fänden jetzt im Krongut statt.

Hauptpächter des Fliedergartens ist der Kleingartenverband, der laut Niehaus 1600 Quadratmeter davon an die Hartz- IV-Betroffenen weiterverpachtet hat. Betroffenen-Chef Weber sagt dagegen, sein Verein habe die gesamten 6600 Quadratmeter gepachtet – „unbefristet“.

Mit diesem grundsätzlichen Territorial-Dissens gehen die beiden Kontrahenten nun in den kommenden Frühling. Beide haben große Pläne für den Fliedergarten. Weber will mit dem Tierschutzverein kooperieren und rühmt sich, sein Verein sei im Besitz eines „schönen Schredders, kein Null-acht-fünfzehn-Ding“ sowie mehrerer „Kettensägen und Freischneider“. Für den Sommer plant er ein Zeltlager für Kinder aus dem Raum Bielefeld. Gegen Niehaus habe er nichts, nur solle der endlich tun, was er versprochen habe: für Strom- und Wasseranschlüsse sorgen.

Niehaus beschreibt die Zerstörung der Utopie auf dem Boden der Tatsachen so: Das Pfingstberg-Gelände sei Reserve-Fläche seines Verbandes gewesen. Die Idee, auf dem Areal etwas für hilfsbedürftige Menschen zu tun, habe er befürwortet. Der renommierte Gartenarchitekt Hartmut Solmsdorf erstellte kostenlos einen Entwurf für den Fliedergarten. Allerdings hätten dann die Hartz-IV-Leute mehr Bäume beseitigen wollen als vorgesehen – zugunsten des Gemüseanbaus. Dazu Weber: Solmsdorf habe gezeigt, was man tun könnte – „das heißt nicht, dass wir das dann auch so machen“. Als Niehaus eines Tages sogar mehrere Ein-Euro-Jobber des Hartz-IV-Vereins beim Aufräumen des Areals antraf, habe er dann die Reißleine gezogen, so der Kleingartenchef. „Jetzt lassen Arbeitslose schon Arbeitslose für sich arbeiten“ – das ginge natürlich nicht.

Nun plant Niehaus einen kompletten Neuanfang. Im Frühjahr soll ein neuer Fliedergarten-Verein gegründet werden, mitmachen könne jeder, der Lust habe – außer Jürgen Weber. „Herr Weber ist das Problem“, findet Niehaus. Die Fliedergarten-Idee sei „hervorragend“ und bundesweit einmalig. 2010 habe viele Erfahrungen gebracht. Niehaus: „Wir wissen jetzt, wie man es nicht macht.“

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