Landeshauptstadt: „Veränderte Streitkultur“
Heike Ziegenbein arbeitet seit 1990 im Büro der Stadtverordneten
Stand:
Frau Ziegenbein, als Leiterin des Büros der Stadtverordnetenversammlung protokollieren Sie mit Ihren Kolleginnen einmal im Monat die Marathonsitzungen der Potsdamer Kommunalpolitiker. Eine Aufgabe, um die Sie nicht zu beneiden sind
Zum Glück wird die Stadtverordnetenversammlung nur stichpunktartig mitgeschrieben, es geht vor allem um das Festhalten der Ergebnisse – es sei denn, es werden die berühmt-berüchtigten Wortprotokolle angefordert. Wenn zuvor eine Stunde lang diskutiert wurde, muss meine Kollegin dann ganz schön lange schreiben. Insgesamt dauert es etwa 14 Tage, bis so eine Niederschrift fertig ist.
Heike Ziegenbein ist 54 Jahre alt und arbeitet seit 1990 im Büro der Stadtverordnetenversammlung. Zur Kommunalwahl stimmt sie in Potsdam nicht ab: Sie wohnt im Umland der Stadt.
Und Sie müssen alle zwei Wochen die Sitzungen des Hauptausschusses protokollieren – und zwar detaillierter
Das stimmt, in diesem Fall muss der Diskussionsverlauf skizziert werden. Das ist mit viel Arbeit verbunden, zumal diese Niederschrift innerhalb von zwei Tagen erstellt werden muss. Hier ist viel Hintergrundwissen notwendig, um den Tenor der Debatte und überhaupt das Thema zu treffen. Viele Stadtverordnete sprechen, wie es ihnen gerade in den Sinn kommt, oder nur in Andeutungen. Wenn wir Auszubildende aus unserem Büro in die Sitzungen mitnehmen, haben sie ganz schön zu kämpfen und wissen oft nicht, worüber genau diskutiert wird.
In ihrem Büro hängt ein Bild, auf dem mehrere vollgefüllte Aktenordner auf mehreren Tischen gestapelt sind. Darunter steht der ironische Spruch: „Auf dem Weg zur papierlosen SVV “
In der Tat streben die Stadtverordneten papierlose Sitzungen an – doch das eine ist das Wollen, das andere die Umsetzung. Bisher beziehen nur 13 der 56 Stadtverordneten die Unterlagen digital, die anderen wollen immer noch das Papier. Bei rund 1000 Drucksachen im Jahr, manche Dutzende Seiten stark, kommt für eine Sitzung pro Stadtverordnetem mindestens ein dicker Aktenordner zusammen. Inzwischen sind wir schon auf Recycling-Papier umgestiegen. Vielleicht ändert sich bei den neuen Stadtverordneten etwas, schließlich gibt es alle Vorlagen und Anträge für eine Sitzung auch als digitale Aktenmappe im Internet.
Sie arbeiten seit 1990 im Büro der Stadtverordnetenversammlung, haben also 24 Jahre lang die Kommunalpolitik in Potsdam verfolgt. Was hat sich verändert?
Die Streitkultur ist etwas anders geworden: Anfang der 1990er ging es häufiger um die Sache, alle wollten etwas verändern – heute entsteht manchmal der Eindruck, das um des Streitens willen gestritten wird.
Wenn sich solche Streitigkeiten im Parlament abspielen: Haben Sie das Gefühl, manchmal auf den Tisch schlagen zu müssen?
Natürlich gibt es solche Momente, gerade wenn sich die Debatte im Kreis dreht. Und ich würde mir manchmal wünschen, dass die Stadtverordneten disziplinierter wären – Besucher haben sich bei mir tatsächlich schon beschwert, dass in den Sitzungen viel Unruhe entsteht oder die Teilnehmer im Sitzungssaal hin- und herlaufen.
Manche Sitzungen der Stadtverordneten dauern über neun Stunden
Das hat man schon versucht zu straffen, unter anderem beginnen die Sitzungen jetzt erst 15 Uhr und nicht schon 13 Uhr wie bis zum Jahr 2009. Aber bei umstrittenen Themen lässt sich die Zeit eben nicht eingrenzen – und in der Potsdamer Politik gibt es die Tendenz, Debatten aus den Fachausschüssen noch einmal in der Stadtverordnetenversammlung zu führen. Aber so ist das eben.
Welcher Moment ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Wenn ich 1990 gewusst hätte, dass ich so lange für die Stadtverordneten arbeite, hätte ich Tagebuch geführt. Eine einzelne Situation ist aber schwer zu beschreiben, weil die Eindrücke so vielfältig sind. Schön sind solche Momente, wenn lange umstrittene Themen wie der Neubau der Weißen Flotte dann letztlich einmütig beschlossen werden – dann hat man das Gefühl, das hat sich jetzt gelohnt.
Was macht die vergangene Wahlperiode aus ihrer Sicht bemerkenswert?
Es sind viele entscheidende Beschlüsse gefällt worden, speziell zu den geplanten Leitbauten in der Potsdamer Mitte. Die Stadtverordneten haben seit der Kommunalwahl 2008 wirklich einen langen Atem benötigt, das alles durchzuhalten. Im Vergleich zu den Anfangszeiten ist diese Arbeit noch anstrengender geworden. Denn gerade in einer wachsenden Stadt wie Potsdam gibt es natürlich einen hohen Erwartungsdruck, dass viele Dinge schnell entschieden werden. Das ist eine Herausforderung für ehrenamtliche Kommunalpolitiker – ich jedenfalls bin oft froh, dass ich nicht an deren Stelle sitze und die Hand heben muss.
Was gehört zu Ihren unangenehmen Aufgaben?
Stadtverordneten zu erklären, das etwas aus den verschiedensten Gründen nicht mehr geht, etwa wenn ein Antrag zu spät eingereicht wurde. Damit kann der eine besser umgehen als der andere. Aber wenn man in diesem Büro arbeitet, muss man eben viel aushalten: Denn Politik und Stadtverwaltung haben jeweils eigene Vorstellungen, denen man gerecht werden muss.
Bald wird wieder gewählt. Es deutet manches darauf hin, dass dann noch mehr Fraktionen mitreden wollen
Ich gehe davon aus, dass etwa die Hälfte der Sitze neu besetzt wird. Das bedeutet, dass den neuen Stadtverordneten wieder die Verfahren neu vermittelt werden müssen – von der Geschäftsordnung bis zur Kommunalverfassung. Dazu wird es Informationsangebote geben, damit der Start leichter fällt. Es ist ja die Aufgabe unseres Büros, die ehrenamtliche Arbeit der Stadtverordneten leichter zu machen und als gute Geister im Hintergrund zu wirken.
Das Gespräch führte Henri Kramer
Seit der Kommunalwahl 2008 haben die Stadtverordneten 61-mal getagt, heute findet die 62. und letzte Sitzung vor der Wahl am 25. Mai statt. Die Kommunalpolitiker haben es dabei laut Stadtverwaltung auf eine Sitzungsdauer von 15 Tagen, 11 Stunden und 33 Minuten gebracht. 62 Prozent der Kommunalpolitiker sind männlich, mit 20 Stadtverordneten die größte Altersgruppe bilden die 61- bis 70-Jährigen. Nur sechs Politiker sind zwischen 31 und 40 Jahre alt, jüngere Stadtverordnete gibt es nicht. 2013 zahlte die Stadt an die Fraktionen insgesamt rund 400 000 Euro. (PNN)
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