zum Hauptinhalt

Von Erhart Hohenstein: Verbrannt?

Ex-Häftling auf Suche nach ermordeten Mitschülern

Stand:

Nauener Vorstadt - Von vier Schülern des früheren Potsdamer Realgymnasiums (heute Einstein-Gymnasium), die nach Verweigerung des Russisch-Unterrichts 1945 von der Besatzungsmacht festgenommen wurden, hat nur Hermann Schlüter überlebt. Wie Joachim Douglas, Kurt Eylert und Klaus Tauer wegen sowjetfeindlicher Gruppenbildung vom Militärtribunal zum Tode verurteilt, entging allein er der Hinrichtung. Schlüter war damals 15 Jahre alt, die anderen bereits 16. Nach Gesuch an den sowjetischen Staatspräsidenten Kalinin zu 20 Jahren Straflager „begnadigt“, bekam er in seiner Zelle im KGB-Gefängnis Leistikowstraße mit, wie seine Kameraden zur Erschießung abtransportiert wurden.

Der inzwischen 80-Jährige war am Freitagabend Gesprächspartner in der Zeitzeugenreihe, die der Verein Gedenk- und Begegnungsstätte ehemaliges KGB-Gefängnis Potsdam e.V. veranstaltet. Dafür fungierte auch diesmal nicht der Originalschauplatz, sondern das Brandenburgische Literaturbüro in der Villa Quandt als Gastgeber, da die Gedenkstättenleitung die Nutzung des schräg gegenüber liegenden Gefängnisses mit seinem Veranstaltungsraum ablehnt. Literaturbüro-Chef Hendrik Röder bezeichnete dies als „Skandal“ und sicherte dem Gedenkstättenverein weiterhin Gastfreundschaft zu.

Schlüter wartete in seinen Schilderung der grausamen Verhöre, mit durch Schläge und Tritte erzwungenen „Geständnissen“ und dem Gefängnisalltag dann in Bautzen mit für die Forschung interessanten Ansätzen auf. So habe er trotz intensiver eigener Nachforschungen nicht ermitteln können, wo seine drei Schulkameraden und andere zum Tode verurteilte Häftlinge hingerichtet worden sind. In den Rehabilitierungsurkunden der 1990er Jahre steht „in Potsdam“, doch dafür gebe es keine Nachweise. Wahrscheinlicher sei die Erschießung im Zuchthaus Brandenburg mit anschließender Verbrennung im dortigen Krematorium. Interessant auch, dass sich der damalige Landtagspräsident Otto Meier (SED) bei Staatspräsident Wilhelm Pieck für die vorfristige Entlassung Schlüters eingesetzt haben soll. Er war 1950 auf dem Richtfest für einen wiederaufgebauten Teil des St. Josefs Krankenhauses vom Vater des Inhaftierten, einem Bauunternehmer, darauf angesprochen worden.

Nicht nur diese Details machten deutlich, wie wichtig es bleibt, rechtzeitig die Erinnerungen der meist weit über 80-jährigen Zeitzeugen aufzunehmen, worauf der Gedenkstättenverein immer wieder hinweist. Hermann Schlüter war übrigens für die ursprünglich angekündigte Christina Schmidt-Kensche eingesprungen. Die 84-Jährige, 1947 in Potsdam zu 15 Jahren Gulag in sibirischen Kohlebergwerk Workuta verurteilt, wurde vor wenigen Tagen ins Krankenhaus eingeliefert und konnte deshalb nicht kommen.

Erhart Hohenstein

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })