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Klanglandschaft. Die Großstadt hat ihren ganz eigenen Sound.

© Kai-Uwe Heinrich

Von Josfine Schummeck: Verdichtete Klangräume

Daniel Morat von der Freien Universität Berlin sprach im Einstein Forum über die Klanglandschaft der Großstadt

Stand:

Lärm macht krank. So die weitläufige Meinung. Wenn dies auch medizinisch und biologisch nachweisbar ist, so geht das subjektive Empfinden von Lärm doch weit auseinander. Lärm meint in diesem Fall Großstadtlärm. Erstaunlich ist, wie unterschiedlich sensibel Menschen auf ihre Geräuschumgebung reagieren. Es gibt die Fraktion, die sich vom Pulsieren der Großstadt angeregt fühlen; und es gibt eben andere, denen der Lärm an den Nerven zerrt. Die Symptome geräuschempfindlicher Menschen sind hinlänglich bekannt: Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Unruhezustände und Nervosität. Wenn man sich aber anschaut, wie unterschiedlich Lärm empfunden wird, stellt sich doch eher die Frage: macht Lärm nervös oder leiden Nervöse unter Lärm?

Zu diesem Thema sprach der Historiker Daniel Morat, Dilthey-Fellow der Fritz Thyssen Stiftung an der Freien Universität Berlin, unlängst am Potsdamer Einstein Forum. Morat forscht derzeit auf dem Gebiet der akustischen Klänge. Wie so oft sind die englischsprachigen Kollegen in diesem jungen Forschungsfeld Vorreiter – in Deutschland steckt die Forschung noch in den Kinderschuhen. Morat und Kollegen beschäftigen sich mit Formen des Hörens und akustischer Wahrnehmung. In seiner Arbeit über „Kulturen des Auditiven in der urbanen Moderne 1880-1930“ geht es um die Anfänge der modernen Großstadt und die Auswirkungen der wachsenden Lärmumgebung auf die Bewohner. Großstädte sind für den Menschen am prägnantesten visuell ausgeformt. Das heißt, in der Stadt nehmen wir vorrangig visuelle Reize wahr: Wolkenkratzer, Straßenbahnen, Einkaufsmärkte, Menschen. Großstädte sind aber nicht nur dynamische Bildräume, sondern auch verdichtete Klangräume. Wir hören ein einziges, durchgängiges Rauschen an Geräuschen. Wir können dabei unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte Geräusche steuern, andere blenden wir aus und nehmen sie nur unbewusst wahr. Die zunehmende Beschleunigung und Industrialisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts brachte eine veränderte Selbst- und Fremdwahrnehmung mit sich. So wurden die Geräusche der Stadt immer mehr als störend empfunden. Waren die Klänge zuvor vorwiegend organisch, also von Menschen und Tieren produziert, so wurde der Lärm zunehmend technisch. Anti-Lärm-Vereine und Kampagnen wurden initiiert, um gegen die Belästigung vorzugehen. Lessing veröffentlicht eine Kampfschrift gegen Geräusche: „Der Lärm“. In dieser Schrift äußert er sich über die zunehmende Rüpelhaftigkeit und Unkultur der Großstadt und die damit verbundene gesteigerte Verletzlichkeit des modernen Menschen. Lessing meinte: „Wohltuend ist für jedermann wofern er sich entrüsten kann.“ Man entziehe sich also dem Lärm, um zu seiner inneren Ruhe zurück zu gelangen. Denn jeder habe ein Recht auf Stille.

Mehr als hundert Jahre später ist das Interesse am großstädtischen Lärm nicht geringer geworden. Morats aktuelles Forschungsprojekt bezieht sich zwar auf die „Klanglandschaft der Großstadt in Berlin und New York von 1880-1930“, ist aber auf unsere derzeitige urbane Klanglandschaft anwendbar. Die Veränderungen der akustischen Stadtwahrnehmung werden immer eindringlicher und nachhaltiger. Schon die Verbreitung des Schnurtelefons und später die Verbreitung des Radios in den 1920er Jahren brachte eine ungewohnte Klangvielfalt mit sich. Doch heutzutage überträgt sich die Klanglandschaft der eigenen Wohnung vermehrt nach außen auf die Straße. In Zeiten schnurloser Telefone und MP3-Player werden Geräusche, die zuvor nur im häuslichen Bereich zu vernehmen waren, auch für die äußere Umgebung hörbar. Die ausgeklügelte Infrastruktur, das weit verzweigte Netzwerk öffentlicher Verkehrsmittel und Baustellen leisten ihren zusätzlichen Beitrag zum Lärmpegel. Der Mensch des 21. Jahrhunderts muss einiges mehr an Lärm aushalten als der Mensch vor hundert Jahren. Ob er auch gleich lärmresistenter dadurch ist, ist schwer zu sagen. Die Frage, ob Lärm nun nervös mache oder Nervöse unter Lärm leiden, bleibt also offen.

Josfine Schummeck

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