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Seit zehn Jahren ist der Uferweg am Griebnitzsee gesperrt. 

© Ronny Budweth

Streit am Griebnitzsee: Versäumnisse der Stadt Potsdam verhindern Uferweg

Zum zweiten Mal scheitert Potsdam mit einem Bebauungsplan für einen freien Uferweg am Griebnitzsee Einiges sei zwar besser gemacht worden, sagt die Richterin. Doch die Fehler überwiegen.

Von Katharina Wiechers

Potsdam - Zwischendurch vermittelte Richterin Dagmar Merz fast den Eindruck, als habe sie Mitleid mit der Stadtverwaltung und der sie vertretenden Anwältin Rut Herten-Koch. „Ich kann verstehen, dass Sie an dieser Stelle kämpfen“, sagte sie etwa einmal zu der Verteidigerin, die sich während der Verhandlungen ganz allein rund einem Dutzend Kollegen auf der Klägerseite gegenübersah. Und auch die Stadt bekam von der Richterin aufmunternde Worte zu hören. Der jetzige Bebauungsplan sei ganz anders als der erste, der 2009 gekippt wurde, es sei „ganz viel gemacht“ worden, lautete Merz' anerkennde Einschätzung. Aber „ganz viel“ war eben nicht genug. Am Ende ließ sie den B-Plan für einen öffentlich zugänglichen Uferweg am Griebnitzsee durchfallen. Und sparte dann auch nicht mit Kritik an der Stadt.

An mehreren Stellen sah Merz, die auch schon 2009 die Ungültigkeit des B-Plans beschieden hatte, sogenannte Bewertungs- oder Abwägungsfehler. Nämlich bei der Beschaffenheit des Weges, bei der Zulassung des Radverkehrs und bei den Belangen der Anrainer, etwa was Sicherheit und Privatsphäre angeht.

Ermittlungsdefizite beim Thema Radfahren

Bei der geplanten Beschaffenheit des Weges habe die Stadt versäumt, rechtlich festzusetzen, dass er wasser- und luftdurchlässig gestaltet werden soll – obwohl die Verwaltung offenkundig eine solche Vorgehensweise geplant hatte, sagte Merz. Das Argument von Herten-Koch, dass man dies bei einzelnen Steilstücken nicht „zentimetergenau“ garantieren könne und man deswegen nichts festsetzen wollte, an das man sich nicht halten könnte, ließ Merz nicht gelten. Dafür gebe es Ausnahmeregelungen, so die Richterin.

Beim Thema Radverkehr sah Merz sogar veritable „Ermittlungsdefizite“. So habe die Stadt keine Prognose abgegeben, wie viele Radfahrer sie auf dem drei bis vier Meter breiten Fuß- und Radweg erwartet. Die letzte Verkehrszählung stamme von 2006. Dass seitdem die Zahl der Einwohner, der Radfahrer und der Touristen zugenommen habe, habe keinen Eingang in die Überlegungen gefunden.

Verkehr sei nicht prognostizierbar

Der Potsdamer Radverkehrsbeauftragte Torsten von Einem konterte während der Verhandlung, dass es zurzeit „keine seriöse Möglichkeit“ gebe, den Radverkehr an dieser Stelle zu prognostizieren. Und Rechtsanwältin Herten-Koch fügte hinzu, der „gesunde Menschenverstand“ reiche, um zu sagen, dass der Verkehr eher noch abnehmen werde, weil der Weg längst nicht mehr so grade und breit wie vor der Sperrung sein werde. Sie gehe davon aus, dass der Hauptradverkehr weiterhin über die höher liegende Karl-Marx-Straße verlaufen werde. „Auch wenn wir das untersucht hätten, das Ergebnis wäre das gleiche geblieben.“

Das ließ Merz nicht gelten. „Es mag sein, dass eine Prognose schwierig gewesen wäre, aber das ist noch kein Beleg dafür, dass sich nichts geändert hat.“ Im Übrigen bezweifle sie, dass nur der eine oder andere Tagestourist die Strecke nutzen würde. „Auch Pendler wählen mal einen netteren Weg“, sagte Merz. Anrainer-Anwalt Reiner Geulen gab zudem zu bedenken, dass die Stadt selbst damit argumentiert hatte, dass der Radweg eine Verbindung zwischen dem Bahnhof Griebnitzsee und dem Park Babelsberg darstellen sollte.

Bei der Bewertung der Eigentumsbeeinträchtigungen hat die Stadt aus Merz' Sicht ebenfalls Fehler gemacht. Zwar seien viele Auswirkungen, die der Weg für die Anrainer mit sich bringen würden, „gesehen“ worden – etwa die Zerschneidung der Grundstücke in einen Hausgarten und einen Uferstreifen, die Problematik im Zusammenhang mit querenden Anwohnern, die Nutzung des Uferstreifens unter den Augen der Öffentlichkeit oder die zu erwartende Lärmbelästigung. Allerdings fehle eine Bewertung, in welchem Umfang die Nutzbarkeit der Grundstücke beeinträchtigt würde. Die pauschale Aussage, dass den Eigentümern noch ausreichend Gartenfläche zur Verfügung stünde, sei fraglich – auch angesichts der sehr unterschiedlichen Zuschnitte. Auch das Argument, dass Besitzer der Villen mit einem Uferweg hätten rechnen müssen, wies die Richterin zurück. „Das war nie rechtlich abgesichert.“

Reiner Geulen.
Reiner Geulen.

© Promo

Die Aussage der Stadt, dass ein erhöhtes Einbruchsrisiko nicht erkennbar sei, ließ Merz so ebenfalls nicht gelten. Der Uferweg würde das Ausspähen oder den Zugang zu einem der Häuser im Vergleich zu jetzt deutlich erleichtern, gab sie zu bedenken. Die Stadt berufe sich hier auf eine Stellungnahme der Polizei, welche aber weder hinreichend mit Fakten unterlegt sei und auch gar nicht aussage, dass es kein erhöhtes Risiko gebe. „Das steht da so nicht drin“, sagte Merz. Und fügte tadelnd hinzu: „Das würde mir nicht reichen, um darauf meine Planung zu stützen.“ Anwältin Koch sagte, man habe neben der Stellungnahme auch „Sicherheitstipps“, die die Polizei an anderer Stelle veröffentlicht hätte, berücksichtigt. Unter anderem werde zum Beispiel empfohlen, Mauern nicht zu hoch zu bauen, da dies Einbrecher erst recht anlocke.

Doch die Anwältin drang mit ihren Argumenten nicht durch. „Es ist nicht nachvollziehbar, mit welchem Gewicht Belange in die Abwägung mit einbezogen wurden“, sagte Merz. Private Belage hätten unterschiedliche Facetten, die alle unterschiedlich zu bewerten seien. „Diese Differenziertheit muss sich in der Abwägung niederschlagen. Das ist hier aus unserer Sicht nicht passiert“, sagte die Richterin.

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Hintergrund

Das erste Haus der Villenkolonie am Griebnitzsee in Babelsberg wurde 1872 erbaut, in den folgenden Jahren folgten weitere, herrschaftliche Häuser. In der NS-Zeit enteigneten die Nationalsozialisten jüdische Eigentümer von Seegrundstücken. Nach dem Bau der Mauer wurde das Gebiet direkt an der Grenze, die durch den See verlief, zu einem Postenweg der DDR-Grenzer. Nach dem Fall der Mauer wurde der 2,8 Kilometer lange Weg öffentlich. Spaziergänger und Radfahrer nutzten ihn. Im Jahr 2009 kippte das Oberverwaltungsgericht einen Bebauungsplan der Stadt Potsdam, in dem ein dauerhafter, durchgängiger und öffentlicher Weg entlang des Ufers festgelegt wurde. Die Begründung des Gerichts: das Privateigentum der Grundstücksbesitzer sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Kurz nach dem Urteil sperrten erste Anrainer den Weg, 2011 kamen weitere hinzu. Andere Eigentümer haben einen Weg auf ihrem Grundstück, der aber nicht zugänglich ist. Der Konflikt machte bundesweit Schlagzeilen – diskutiert wurde, ob öffentliches Interesse an einem freien Ufer in diesem Fall mehr Gewicht haben sollte als das Privateigentum. Dieses hatten viele der Anrainer noch mit dem darüber verlaufenden Weg erworben. Danach arbeitete die Stadt einen neuen Bebauungsplan aus, der von den Stadtverordneten nach langem Hin und Her im April 2016 beschlossen wurde. Die Stadt hat nach eigenen Angaben Rücklagen in Höhe von rund 13 Millionen Euro für Grunderwerb, Entschädigungen, den Bau des Weges und Verfahrenskosten eingeplant. Der Streit ging allerdings weiter. Ein vom OVG angeregtes Mediationsverfahren scheiterte. Deshalb landete der neue, überarbeitete B-Plan nun erneut vor dem OVG.

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