zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Verspäteter Zug als Lebensretter

Rechter stieß Lehrling auf die Gleise/Bewährung für Mittäter

Stand:

Rechter stieß Lehrling auf die Gleise/Bewährung für Mittäter AUS DEM GERICHTSSAAL Von Gabriele Hohenstein Der Koch-Lehrling Patrick B. (19) wartete in der Nacht des 22. März 2003 auf dem Bahnhof Rehbrücke auf den Zug, der um 2.24 Uhr ankommen sollte, als er laut Anklage von drei alkoholisierten Rechtsgesinnten mit Fäusten, Füßen und einem unter das Waffengesetz fallenden Totschläger malträtiert wurde, ihm Zigaretten, Geld und Handy abgepresst werden sollten. Gegen 2.20 Uhr stieß der Haupttäter Heiko G. (27) den blutenden Jugendlichen auf die Gleise, wohl wissend, dass die Regionalbahn jeden Augenblick einfahren müsse. Die hatte zum Glück für Patrick B. eine halbe Stunde Verspätung. Im Februar wurde der vielfach vorbestrafte stadtbekannte rechte Schläger Heiko G. vom Landgericht wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Gestern musste sich sein Mittäter Enrico P. (26) wegen gefährlicher Körperverletzung sowie Verstoßes gegen das Waffengesetz vor dem Amtsgericht verantworten. Der Arbeitslose schwieg zum Prozessauftakt, räumte nach der umfangreichen Zeugenvernehmung allerdings ein, das augenscheinlich dem linken Spektrum zugehörige Opfer an seinem Fußballschal festgehalten zu haben, damit die Kumpane besser zuschlagen konnten. Allerdings habe er ihm zuvor mit den Worten „Alte Zecke, verpiss dich“ zu verstehen gegeben, es wäre besser, das Weite zu suchen., „Ich habe ihn auf keinen Fall geschlagen oder getreten, sondern von den Schienen geholt. Schließlich hätte der Zug jeden Moment kommen können“, so der bereits wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen Vorbestrafte. Wem die dreiteilige, zusammenklappbare Stahlrute gehöre, wisse er nicht. Heiko G. habe sie ihm nach der Prügelorgie in die Hand gedrückt. „Ich habe den Totschläger in meinen Rucksack gesteckt. Dort wurde er von der Polizei gefunden“, erzählte der Kurzhaarige. Patrick B.– schmächtig und wuschelköpfig – berichtete im Zeugenstand von Schlägen und Tritten aller drei Angreifer. Benommen und unfähig zu laufen habe er noch aus dem Gleisbett heraus die Polizei angerufen, sei dann von dem Angeklagten auf die andere Bahnsteigseite gebracht worden. Der Arzt im Bergmann-Klinikum attestierte dem Auszubildenden – er trat im Prozess als Nebenkläger auf – eine Nasenbeinfraktur, Weichteilschwellungen, mehrere kleine Kopfplatzwunden, eine Gesichtsschädelprellung sowie eine Prellung des linken Kniegelenks. „Später tat mir der ganze Körper weh. Und ich hatte jede Menge blaue Flecken auf dem Rücken.“ Die Staatsanwältin sprach von einer politisch motivierten Straftat. Anhand seines Äußeren sei Patrick B. von den rechtsgerichteten Angreifern eindeutig als „Feind“ identifizierbar gewesen. Ob der Angeklagte ebenfalls zugehauen habe, sei unerheblich. Entscheidend sei der gemeinsame Tatentschluss des Trios. Ihr Antrag: 18 Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung, 500 Stunden gemeinnützige Arbeit. Auch Volker Wiedersberg, Rechtsbeistand des Nebenklägers, glaubte: „Bei der Tat spielte rechtsradikale Gesinnung eine große Rolle. Die Angreifer kannten ihr Opfer nicht, schlugen trotzdem zu.“ Die Vorsitzende Richterin Dr. Birgit von Bülow verurteilte den Angeklagten zu 18 Monaten Freiheitsstrafe, ausgesetzt zu dreijähriger Bewährung, sowie 300 Stunden Sozialarbeit.

Gabriele Hohenstein

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })