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Landeshauptstadt: Verstecken, tanzen, kämpfen

Grundschülerinnen in Drewitz üben Tanztheater – und tun damit auch etwas für das Image des Stadtteils

Stand:

Nach dem Fototermin im noch leeren Saal kann Robert Segner seine Mädchen kaum mehr zusammenhalten. Acht Sechstklässlerinnen in schwarzen Leggings und grauem Shirt posieren auf der Bühne, schneiden Grimassen, necken sich aufgekratzt, fangen an, Rad zu schlagen, müssen schnell nochmal auf Toilette. Es ist kurz vor 18 Uhr am Montagabend. Draußen vor dem Saal warten die Zuschauer, meist Mütter und Geschwister der Mädchen. Robert Segner will die Gäste aber noch nicht hineinlassen und seine Tänzerinnen nicht hinaus. „Kommt mal zusammen, Mädels“, ruft Robert Segner ihnen zu. „Gebt Pfötchen!“ Sie bilden einen Kreis, fassen sich alle an der Hand, sollen zur Ruhe kommen, und Segner sagt: „Jetzt sind wir gleich vor der Aufführung. Egal, was und wie ihr es macht, es wird top!“

Am Montagabend hatte das Tanztheaterstück „Wir können doch so bleiben“ Premiere, es war eine von nur zwei Aufführungen. Die Tänzerinnen sind elf oder zwölf Jahre alt. Seit März proben sie zusammen, montags nach dem Unterricht – immer dann, wenn sie eigentlich am wenigsten fit sind, weil sie nach dem Wochenende seit sieben Uhr in der Schule sind. Ihre Lehrer sind zwei junge Potsdamer Tänzer, Robert Segner und Irina Maslennikova. Segner tanzt als Breakdancer seit sieben Jahren in der Compagnie des Oxymorons und studiert Kulturarbeit, Maslennikova an der Fachhochschule Potsdam Design und hat bereits mehrere Kunst- und Theaterprojekte in der Stadt mitgestaltet.

Wann fängt man an zu tanzen? Was lässt sich mit Bewegung zum Ausdruck bringen? Für die Sechstklässlerinnen war diese Art Tanzlabor der vergangenen Monate ein völlig neuer Zugang zu ihrem Körper – und zu ihrer Bewegungsenergie. Genau dies bezweckt auch das Projekt ChanceTanz vom Bundesverband Tanz in Schulen als Geldgeber für die Arbeit mit bildungsbenachteiligten Kindern und Jugendlichen. Kooperationspartner sind das Jugendzentrum Freiland und das Kombinat der Tänzerin Paul E. Paul. „Es ist ein ganz bestimmtes Konzept dahinter,“, sagt Paul, „dass die Kinder mit ihren Themen und ihrer Energie kommen.“ Für Segner und Maslennikova ist es bereits das vierte Projekt mit Kindern.

Die beiden Tänzer geben keine Choreografie vor, keine Schrittfolgen, die eingeübt werden sollen, sondern zeigen den Mädchen der Priesterweg-Grundschule lediglich Techniken, Bausteine, mit denen sie selbst ihren Tanz gestalten können. „Nach dem ersten Training hat uns ein Mädchen gefragt, ob wir das nächste Mal richtig tanzen“, erzählt Maslennikova. „Es ist nicht leicht, die Freiheit zu akzeptieren, dass jeder tanzen kann, wie er will.“ Inzwischen aber entstünden bei den Schülerinnen immer neue Bewegungungen, die Robert Segner stets aus Neue überraschen. „Ich könnte das nicht besser machen“, sagt er. „Das ist ein bestimmter Schwung. Sie sind einfach noch nicht so vorgeformt.“

Die Aufführung beginnt mit einer langen Stille in Dunkelheit. Eine Tänzerin tritt nah ans Publikum heran und fragt einen Zuschauer: „Können Sie mit dem Po wackeln?“ Natürlich keine Reaktion. Nach und nach beginnen die Mädchen selbst, jede für sich, mit dem Po zu wackeln. Daraus entsteht ein wilder Tanz, bevor die Szene einfriert und die Mädchen in einem neuen Rahmen erneut improvisieren. Sie spielen Verstecken, tanzen Breakdance, kämpfen wie die Samurais. Manchmal zupfen die Sechstklässlerinnen beim Tanz ihr Shirt zurecht, oder suchen unsicher Augenkontakt zu ihren Mittänzern. Manchmal springen sie so im Überschwang, dass sie das Gleichgewicht verlieren. Dann sind sie aber auch wieder tief bei sich und zeigen die ganz eigene Lebendigkeit von eben elf- und zwölfjährigen Mädchen. Etwa wenn eine von ihnen, weil sie beim Kuschelrock keinen Tanzpartner hat, mit einem Notenständer tanzt.

„Das ist kein normaler Tanz“, sagt Patrycja Begier nach der Aufführung. „Wir konnten uns selber neu entdecken und das war geil. Von Robert und Irina haben wir nur ein paar Schritte gelernt. Den Rest haben wir uns selber ausgedacht.“

Langanhaltender Applaus nach der halbstündlichen Premiere. Schulleiterin Elvira Eichelbaum will am liebsten noch ganz viele Aufführungen organisieren. „Das können sie auch im Nikolaisaal zeigen“, sagt sie. Solche Projekte wie dieses habe sie sich immer erträumt, sagt die langjährige Schulleiterin, „dass die Kinder so eine Chance bekommen – zu zeigen, was sie draufhaben.“ Da stecke soviel Energie in ihnen, die raus müsse.

Das Konzept ihrer Schule und des Stadtteilzentrums „Oskar“ ist an diesem Abend voll aufgegangen. Der ehemalige eher trostlose Plattenbau in Drewitz wird jetzt zu einem Ort der Kultur, die von den Schülern selbst kommt. Auch für den Vater einer Tänzerin war es der perfekte Tag, wie er sagt. Erst konnte er seine Tochter tanzen sehen, und am Abend hat auch noch die deutsche Fußball-Mannschaft gewonnen. Wenn auch knapp.

nbsp;Grit Weirauch

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