Landeshauptstadt: Viel zu früh auf dieser Welt
Juliana kam 14 Wochen vor dem eigentlichen Geburtstermin auf die Welt. Im Klinikum Ernst von Bergmann weiß man ganz genau, wie ihr zu helfen ist.
Stand:
Juliana kam 14 Wochen vor dem eigentlichen Geburtstermin auf die Welt. Im Klinikum Ernst von Bergmann weiß man ganz genau, wie ihr zu helfen ist. Juliana nimmt den Trubel gelassen. Drei Ärzte, eine Schwester, zwei Fotografen, dazu die Journalisten, in dem kleinen Zimmer ist kaum noch Platz. Und alles dreht sich nur um sie. Manch einer bleibt lieber im Flur zurück und beobachtet das Treiben aus rücksichtsvoller Entfernung. Doch Manfred Radke, Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche im Klinikum Ernst von Bergmann, kann beruhigen: „Juliana hat schon ganz andere Situationen gemeistert.“ Am 22. April kam Juliana zur Welt. Viel zu früh und ungewollt. Das waren 14 Wochen vor ihrem eigentlichen Termin. Juliane wog, bei einer Größe von 32 Zentimetern, gerade einmal 470 Gramm. Komme ein Kind nach den üblichen neun Monaten zur Welt, dann wiege es bei einer Größe von über 50 Zentimetern, im Schnitt über 3000 Gramm, so Manfred Müller, Chefarzt der Neugeborenenintensivstation (Neonatologie) des Klinikums. Juliane sei dagegen ein regelrechtes Würmchen gewesen. Ein „extrem unreifes Frühgeborenes“, so wird Juliana in der medizinischen Fachsprache genannt. Die Kinder also, die vor Ablauf der 28. Schwangerschaftswoche und mit einem Gewicht von weniger als 1000 Gramm zur Welt kommen. Über 30 solcher Frühgeborenen werden im Jahr auf der Neugeborenenintensivstation betreut. Doch das Leichtgewicht Juliana waren für Manfred Müller und die 21 Schwestern der Station dann eine besondere Herausforderung. „Die Medizinindustrie ist auf derartige Fälle kaum vorbereitet“, erklärt Manfred Radke. Spezielle Kanülen oder eine nötige Medikamentdosis für Frühgeborene gebe es nicht. Hier müssen die Ärzte und Schwestern vor allem auf ihre jahrelange Erfahrung zurückgreifen. Vom Kreissaal, wo die meisten Frühgeborenen durch eine Operation zur Welt kommen, auf die Neugeborenenintensivstation bis zum Tag der Entlassung, die Fürsorge für die kleinen Erdenbürger erfordere ein hohes Maß an Engagement. Wichtig hierbei, so betonte Radke, sei ein eingespieltes und erfahrenes Team, denn nur so könne optimal für die Frühgeborenen gesorgt werden. Verena Gensicke ist seit über 20 Jahren Schwester auf der Neugeborenenintensivstation. Als Mutter von drei Kindern hat sie selbst die Erfahrung einer Frühgeburt machen müssen. Auf der einen Seite die Frühgeborenen zu versorgen und auf der anderen für die Eltern, für die diese Situation oftmals genauso belastend ist wie für ihr Kind, da zu sein, so versteht sie ihre Arbeit. Mit der Mutter, dem Vater reden, ihnen gegenüber ehrlich sein und auch mal sagen, wenn es für das Kind besser ist, ihm Ruhe zu gönnen, zu nicht unerheblichem Teil sind Verena Gensicke und ihre 20 anderen Kollegen auch Psychologen. Derzeit betreuen sie neun Frühgeborene auf der Station, von denen so manches an diesem Vormittag schon schreien kann wie die Großen. Insgesamt 14 Plätze hat die Neugeborenenintensivstation des Ernst von Bergmann Klinikums. Doch voll belegt sein darf die Station nie. „Ein Platz muss immer für Notfälle frei sein“, erklärt Verena Gensicke. Auf derartige Notfälle würde Friedrich Dressler, Chefarzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, gern verzichten. Etwa sieben Prozent aller Neugeborenen kommen als Frühchen zur Welt. Und obwohl Frühgeburtlichkeit trotz Technik und dem medizinischen Fortschritt noch immer schwer zu kalkulieren sei, wäre es schon lange nicht mehr ein „Horroszenario“ für die Eltern, so Dressler. Zwei bis drei Frühgeborenen könne im Jahr im Klinikum nicht geholfen werden. Doch seien dies oftmals Fälle, bei denen eine bessere Vorsorge und Untersuchungen ein früheres Handeln ermöglicht hätten. Dressler ist sich sicher, dass durch Sensibilisierung und Voruntersuchungen die Frühgeburtlichkeit um bis zu 30 Prozent gesenkt werden könnte. Für die allzu frühe Juliana kommt nun bald der Tag, dass sie nach über vier Monaten endlich nach Hause kann. Prächtige 2670 Gramm wiegt sie mittlerweile. Und wenn Stationsarzt Manfred Müller und Schwester Verena Gensicke von ihr berichten, dann schwingt auch Stolz in ihren Stimmen mit. Ein Blick auf den kleinen Erdenbürger, der die schweren Wochen ohne „gravierende Organschäden“ überstanden hat, macht schnell klar, warum Ärzte und Schwestern des Klinikums mit ihrer Arbeit mehr als zufrieden sind. Dirk Becker
Dirk Becker
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: