Von Tina Lohmann-Wolters: Viele Tränen
Nach dem Rücktritt von Pfarrer Markus Schütte leitet sich die Junge Gemeinde der Potsdamer Friedenskirche selbst
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Jugendliche und Kirche, das geht selten zusammen. Sich in einer Gemeinde zu engagieren, finden die meisten uncool. Das weiß auch Mia Wenzel: „In der Schule wird man lächerlich gemacht, wenn man in die Kirche geht“, sagt die 16-Jährige. „Doch für mich ist es viel wert – hier habe ich mich selbst gefunden.“
Die Potsdamerin gehört zur Jungen Gemeinde (JG) der evangelischen Friedenskirche. Rund 25 Jugendliche treffen sich wöchentlich in den Räumen am Grünen Gitter. Sie haben ein vielfältiges Programm: In jüngster Zeit haben sie sich mit der Integrationsdebatte und den Thesen von Thilo Sarrazin auseinandergesetzt. Es werden Gottesdienste vorbereitet und gemeinsame Spiele organisiert. Diskussionen gehören dazu, wenn die Gruppe zusammenkommt, sich mit aktuellen Themen und mit ihrem Glauben beschäftigt.
Die Jugendarbeit der Friedenskirche gilt als Magnet der evangelischen Kirche in Potsdam, der viele Konfirmanden und Jugendliche auch aus anderen Kirchengemeinden der Stadt und sogar aus Berlin anzieht. Von den acht „Jungen Gemeinden“, die in den verschiedenen Potsdamer Kirchengemeinden aktiv sind, zählt die Gruppe der Friedenskirche zu den größten. „Wir haben einfach eine tolle Mischung von Leuten“, sagt Anna Müller. Die 16-Jährige gehört zum Planungsteam der Jungen Gemeinde und organisiert bisher gemeinsam mit Stadtkirchenpfarrer Markus Schütte und weiteren vier Jugendlichen die Treffen.
Für ihre Mitstreiterin Mia, die auch den Konfirmandenunterricht der Achtklässler mitgestaltet, war es ein langer Weg, sich für die Mitarbeit in der Gemeinde zu begeistern: „Ich habe meinen Konfirmandenunterricht in einer anderen Gemeinde begonnen und wollte eigentlich sofort wieder aufhören“, erinnert sich die Schülerin. Auch über die Jugendweihe als Alternative hatte die Potsdamerin nachgedacht. In der Kirche sei „alles irgendwie verstaubt und absolut unpersönlich“ gewesen. Durch Freunde hat sie dann von der Jugendarbeit in der Friedenskirche erfahren, ist dorthin mitgenommen worden – und geblieben. Auch Simon Lange gehört zum Organisationskreis, der die Treffen gemeinsam mit Schütte vorbereitet. Der 17-Jährige aus Bornstedt ist seit seiner Konfirmandenzeit in der Gemeinde aktiv. „In der JG habe ich gelernt, dass ich die Fragen des Lebens auch anders beantworten kann“, erklärt Lange.
Warme Worte finden die Jugendlichen, wenn sie über Pfarrer Markus Schütte reden: „Ohne Markus wären wir nie dabei geblieben“, sind sie sich einig. „Er sieht einen nicht als normalen Menschen an, sondern sieht das Besondere in einem“, beschreibt JG-Mitglied Franziskus Kuhnt: „Er kann begeistern, redet gut zu und nimmt einem so die Angst vor eigenen Entscheidungen.“
Schütte, das ist bekannt in den Potsdamer Kirchenkreisen, versteht es besonders gut, auf die Jugendlichen einzugehen, mit ihnen umzugehen, sie ernst zu nehmen. Zum Jahresende will er sein Amt als Stadtkirchenpfarrer in Potsdam jedoch aufgeben. Als Hintergrund gelten Details aus dem Privatleben von Schütte, die öffentlich geworden sind. Der Kirchenmann, Anfang 40, zweifacher Vater, ist geschieden, hat mittlerweile eine neue Freundin und dazu ein drittes Kind mit einer weiteren Partnerin. Die beiden Frauen stammen wie er aus der Friedenskirchengemeinde. Die evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) hatte diese Situation bereits im Frühjahr als „nicht mehr tragbar“ bezeichnet: Ein Stadtkirchenpfarrer habe in seiner Lebensführung eine „Vorbildfunktion“. Deswegen hatte die EKBO Schütte zum „Stellenwechsel“ geraten, es bestehe „Handlungsbedarf“.
Die Entscheidung Schüttes, sein Amt niederzulegen, war für die Jugendlichen in der Jungen Gemeinde erschütternd. „Wir konnten es kaum glauben, als wir davon erfahren haben“, sagt Florian Lengle. Der 17-Jährige ist der älteste Teamer in der Organisationsrunde und hat auch die Reaktionen der anderen Jugendlichen erlebt: Wütend und enttäuscht zugleich waren viele. „Es gibt in der JG keinen, der deswegen noch nicht geweint hat“, beschreibt Mia die Hilflosigkeit der Jugendlichen. „Man kommt sich vor, wie in so einer komischen Soap“, sagt sie. Bittbriefe für den Verbleib von Schütte wurden von den Jugendlichen geschrieben und auch der Gemeindekirchenrat besucht. „Aber es hat alles nichts gebracht.“ Die Gruppe ist enttäuscht, viele haben wenig bis gar kein Verständnis für die Positionierung der Landeskirche und der Kirchenleitung in Potsdam. Deren Haltung sei „scheinheilig“, die Jugendlichen fühlen sich betrogen.
Wie es mit ihrer Jungen Gemeinde weitergehen soll, haben sie länger diskutiert. Fest steht: Die Gruppe macht weiter, und zwar in Eigenregie. Ab Januar wird das Organisationsteam die Treffen vorbereiten. „Wir wollten nicht abwarten, was nun passiert“, sagt Franziskus Kuhnt. Pfarrer Schütte will sich zu den Vorgängen, die ihn betreffen, öffentlich nicht äußern. Er sagt dazu lediglich, dass er seine eigene Zukunft als völlig offen sehe; Stadtkirchenpfarrer ist er seit 2004, sein Vertrag war ursprünglich bis 2012 befristet. Dass die Junge Gemeinde ihren Weg finden wird, davon sei er überzeugt, sagt Schütte: „Es ist eine kraftvolle und starke Gruppe mit führungsstarken Persönlichkeiten.“
Insgesamt acht Junge Gemeinden mit Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren sind im Kirchenkreis Potsdam aktiv. Informationen, wo und wann sie sich treffen, gibt es im Internet unter www.ejpot.de.
Tina Lohmann-Wolters
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