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Von Antje Horn-Conrad: „Vielleicht kommt ja etwas in Bewegung“

Eine Potsdamer Lehrerin über eigene Erfahrungen und Gründe des Verschweigens schulischer Gewalt

Stand:

„Endlich bricht jemand das Schweigen“, dachte Barbara S.*, als sie vor wenigen Tagen in dieser Zeitung von den Störattacken jugendlicher Schüler an der Goethe-Gesamtschule las. Obwohl bereits im Ruhestand, brachen eigene Verletzungen wieder auf, denn vieles hatte sie als Lehrerin in Potsdam ganz ähnlich erlebt: Respektlosigkeit, Demütigungen, seelische und körperliche Gewalt.

So, wie sich die besorgten Eltern von Kindern einer 8. Klasse der Goethe-Schule an die Presse wandten, sucht nun auch Barbara S. die Öffentlichkeit. „Vielleicht kommt ja etwas in Bewegung“, hofft sie, auch wenn sie selbst, genau wie die Eltern, anonym bleiben möchte und keine Namen nennt. Nicht, weil sie zu ihren eigenen Aussagen nicht stehen könnte, sondern weil sie nach wie vor fürchtet, persönlich Schaden zu nehmen.

Offenheit im Umgang mit schulischer Gewalt scheint eine große Hürde zu sein. Oft, so Barbara S., haben Lehrer ein Problem damit, Schwierigkeiten einzugestehen, wegen des Makels: „Der kann sich eben nicht durchsetzen.“ Wagen Lehrer dennoch eine Offenlegung von Konflikten, müssen sie mit einem Herabspielen durch die Schulleitung rechnen. „Das Ansehen der Schule, ihr guter Ruf könnte leiden, wenn Probleme nach außen dringen.“

Warum aber halten die Kollegen untereinander nicht zusammen? Barbara S. erklärt dies aus eigener Erfahrung so: „Wenn man als Fachlehrer zunächst mit dem Schüler redet und dann den Klassenlehrer anspricht, kann man schon in eine Falle tappen. Nicht wenige Kollegen profilieren sich über das Problem eines anderen, indem sie den Kindern wie Wohltäter versprechen, die Sache für sie zu regeln. Keiner hat ein besseres Gespür für den eigenen Nutzen solcher Profiliersucht als die Schüler.“

Manchmal, so hat es Barbara S. erlebt, müssten Schulleitungen erst über Dienstaufsichtsbeschwerden mobilisiert werden, ihre Aufsichtspflicht konsequent wahrzunehmen und die Ordnungsmaßnahmen auch anzuwenden. Im eigenen Kollegium hatte sie beobachtet, dass die gesetzlichen Möglichkeiten, wie zum Beispiel die Verwarnung, vielen Lehrern überhaupt nicht geläufig sind. „Lieber wird weggeschaut, man lässt sich ein dickes Fell wachsen.“ Ein frecher, dreister Umgangston habe sich an manchen Schulen ausgebreitet. Zu leiden hätten alle und schließlich seien es dann die Hausmeister, die wegen zunehmender Sachschäden und mutwilliger Zerstörungen Alarm schlagen und so auf das Gewaltproblem einer Schule aufmerksam machten.

Barbara S., die es nicht gewohnt ist, Missstände unter den Teppich zu kehren, musste sich wegen kritischer Äußerungen mehrfach als Nestbeschmutzerin beschimpfen lassen. „Wenn Sie so weiter machen, kriegen wir hier bald keine Anmeldungen mehr“, äußerte ihr gegenüber ein Schulleiter. Dabei wollte sie ihre Sache einfach nur gut machen, konsequent und offen sein, pädagogisch richtig handeln. Irgendwann aber lasse die Kraft nach, vor allem der Glaube an Gerechtigkeit und das eigene Selbstvertrauen. Barbara S. hat erlebt, wie schwierige Schüler den Lehrern so heftig zusetzten, dass diese irgendwann nicht mehr konnten. „Sie gehen kaputt daran, manche werden sehr krank, leiden am Burn-out-Syndrom oder haben Depressionen.“

Für Barbara S. gehörte es zu den schlimmsten Erfahrungen, als eine Schlägerei von rechtsradikal gesinnten Jugendlichen heruntergespielt wurde. „Die Schule zeigte wenig Bereitschaft, sich den Fakten zu stellen. Was nicht sein darf, das nicht sein kann, gaben resignierte, auf den Ruhestand wartende Lehrer zur Antwort. Manche flüchteten in einen Schulwechsel, in der Hoffnung, dass an anderen Schulen ein besseres Klima herrscht.“ Barbara S. ging sogar für ein Jahr als Austauschlehrerin ins Ausland, um wieder zu sich selbst und ihren Berufsidealen zurückzufinden.

In Potsdam hatte sie dann mit Hilfe einiger „Mediatoren“ unter den Eltern konstruktiv an Lösungsansätzen arbeiten können. Lehrer, Eltern und Schüler ihrer Klasse gingen mit Offenheit und professioneller Unterstützung neue Wege. In Workshops haben sie gegenseitig Kritik äußern, Konflikte lösen, Fairness und Akzeptanz einüben können.

Auch die Schüler der Goethe-Gesamtschule haben sich auf diesen Weg gemacht, suchen mit ihren Lehrern und einer Sozialarbeiterin nach den Ursachen von Gewalt, um ihnen entgegenwirken zu können, sagt Schülersprecher Jens Bosewe. Die Goethe-Schüler lernten gern an ihrer Schule. Das wollen sie sich nicht kaputtmachen lassen.

*Name von der Redaktion geändert

Antje Horn-Conrad

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