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Eine echte Hilfe. Robert Gorges mit Hotelchefin Beate Fernengel.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Vier Sterne und ein neues Leben

Kein Job, kein Geld, keine Wohnung: Im Arcona-Hotel bekommen Obdachlose eine Chance. Robert Gorges hat sie genutzt

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Irgendwann ging es einfach nicht mehr. Zu Hause war Zoff der Normalzustand geworden. Vor einem knappen Dreivierteljahr dann der Schnitt: Robert Gorges, heute 24 Jahre alt, wurde wegen andauernder Streitereien bei seinen Eltern rausgeschmissen. Ein halbes Jahr lang kam er noch bei einem Kumpel unter. Als es auch dort für ihn nicht mehr weiterging, blieb ihm nichts anderes übrig als die Straße – oder das Obdachlosenwohnheim. Aber das ist nicht die Geschichte eines Abstiegs. Mittlerweile wohnt Robert Gorges im Vier-Sterne-Hotel Arcona am Havelufer – und hat dort auch Arbeit gefunden.

Die Arcona-Hotelchefin Beate Fernengel startete vor zwei Jahren ein Projekt der besonderen Art. „Ich sah einen Fernsehbericht über Berliner Obdachlose“, erzählt sie. Die Schicksale haben sie bewegt: „Wie sie im Winter mit den Temperaturen und überfüllten Heimen zu kämpfen haben.“ Für sie war das auch eine Frage des Gewissens: „Wenn ich freie Zimmer habe, warum müssen dann Menschen um ihr Überleben kämpfen?“, habe sie sich gefragt. Und die Konsequenz gezogen: Fernengel, die derzeit auch als kommissarische Chefin die Industrie- und Handelskammer Potsdam (IHK) leitet, öffnete ihr Vier-Sterne-Haus für Bedürftige. Robert Gorges ist einer von bislang zwölf Obdachlosen, denen sie im Hotel eine Unterkunft bot.

Ganz ohne Gegenleistung macht sie das nicht. Gorges zum Beispiel half als Praktikant im Hotel – erst als Tellerwäscher, heute als Kellner. Fernengel geht es darum, eine Perspektive zu eröffnen: „Wir wollten den Menschen nicht nur einen Schlafplatz bieten, sondern auch die Möglichkeit, einen Weg zurück in die Gesellschaft zurückzufinden und auf eigenen Beinen zustehen“, sagt die Hotelchefin.

Gorges kennt auch die Alternative. Einen Monat lang lebte er im Obdachlosenheim der Arbeiterwohlfahrt im Lerchensteig. An die Zeit erinnert sich der 24-Jährige nicht gern, erzählt von Alkoholikern und Drogenabhängigen – und dem Misstrauen, das ihm bei Wohnungsbesichtigungen entgegenschlug, wenn die Vermieter von seiner Situation erfuhren. „Sobald ich Hartz IV erwähnte, waren meine Chancen gleich Null, die Wohnung zu bekommen. Das merkte man jedem Vermieter an“, erzählt er.

Im Obdachlosenheim grenzte er sich ab, war Einzelgänger, wollte so schnell wie möglich weg. Jeden Tag saß er vor verschiedenen Unterlagen, ging zu Wohnungsbesichtigungen und machte Behördengänge. Als er Ende November wieder einmal im städtischen Wohnungsamt war, ging alles überraschend schnell. Die Sachbearbeiterin erzählte ihm von dem Projekt des Arcona-Hotels. Eine halbe Stunde später saß ich in der Lounge des Hotels mit Havelblick, Hotelchefin Beate Fernengel ihm gegenüber. „Sie wollte, dass ich am gleichen Abend noch einziehe“, erzählt er lächelnd. Er antwortete mit Nein. So schnell schaffte er das nicht. Erst am Tag danach zog er um.

Ein weißes Hemd, schwarze Hose und glänzende Lackschuhe trägt Gorges heute – wie alle Angestellten im Hotel. An den Ohrläppchen sind zwei größere Löcher zusehen, Überbleibsel eines geweiteten Ohrpiercings. „Meine Tunnel musste ich mir für die Arbeit leider rausnehmen“, sagt er und lacht. Der Ohrschmuck sei zu auffällig gewesen für die Arbeit in dem anspruchsvollen Hotel. Für den gelernten Lagerlogistiker war das kein Problem.

Früher arbeitete er für verschiedene Lieferfirmen als Zeitarbeiter. Eine Chance zur Festanstellung habe er nie bekommen, berichtet er. Hielt sich zwischenzeitlich mit Hartz IV über Wasser, bekam Essen von einem Freund.

Seit dem Umzug ins Hotel ist das anders: Robert Gorges wurde offiziell als Praktikant eingestellt. Neben der Übernachtung, die normalerweise 74 Euro pro Nacht kostet, bekommt er dort auch Essen. Er arbeitete zuerst als Tellerwäscher. Mittlerweile ist er beim Bankettservice zuständig für die Buffets. Er muss gute Arbeit geleistet haben. Vor Kurzem bekam er eine Festanstellung beim Hotel Arcona.

Ein Erfolg, auch für Beate Fernengel – und nicht der erste. Ihr Hilfsprojekt war vor zwei Jahren gestartet – mit einem Lateinamerikaner. Der hatte, bevor er nach Deutschland kam, in Südamerika ein Restaurant geführt, berichtet die Hotelchefin. Solche Qualifikationen spielen eine Rolle bei der Auswahl: „Natürlich können wir nicht jeden nehmen“, sagt Fernengel. Alkoholkranke oder besonders verwahrloste Obdachlose kämen nicht infrage – sie bräuchten eine spezielle Förderung und Pflege.

Das Projekt der Potsdamerin hat sich bereits herumgesprochen. Schon seit Beginn bekomme sie durchgehend positives Feedback, teilweise erreichen sie Dankesbriefe aus ganz Deutschland, erzählt Beate Fernengel. Sie möchte damit auch einen Anstoß geben: „Ich hoffe, dass andere Hotels sich ein Beispiel an uns nehmen, wenn sie nicht ausgelastet sind“, sagt sie. Fernengel ist auch stolz auf ihre besonderen Hotelgäste: „Man bekommt ein Super-Feedback durch ihre fleißige Arbeit.“

Seit zwei Monaten arbeitet und lebt Robert Gorges nun schon in dem Hotel. Dass er vorher obdachlos war, haben einige seiner Kollegen erst vor Kurzem mitbekommen. Mit einem strahlenden Lächeln sagt er: „Bald darf ich mir auch wieder Tunnel in die Ohrläppchen machen. Die müssen dann aber durchsichtig sein.“ Nicht nur das sorgt bei dem 24-Jährigen für gute Laune. Wenn er Glück hat, bekommt er bald eine Einzimmerwohnung in Potsdam. Dann ist er endlich wieder zurück. Zurück auf eigenen Beinen in einem selbstständigen Leben.

Lukas Berg

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