zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Vom Autobahnnetz zur Wasserbüffelstraße

Die Gegensätze könnten kaum größer sein: Millionenstadt Tianjin und Dorf Shangjiang

Stand:

Unsere „China und ich“-Autorin, die 14-jährige Josefine Markarian, ist inzwischen mit Eltern und Geschwistern von der Millionenmetropole Tianjin aufs Land gezogen. Auch dort gibt es aber Internetanschluss und viele Eindrücke, die sie um die Welt schickt.

Die beiden Orte Tainjin und Shangjiang könnten unterschiedlicher nicht sein. Was für ein Glück wir doch haben, in unserer kurzen Zeit in China die beiden Extreme des unterschiedlichen Lebens in der Volksrepublik kennen lernen zu können. Da wären einmal die Millionenstadt Tianjin mit ihren Hochhäusern und voll gestopften Autobahnen und das kleine Dorf Shangjiang, kaum größer als ein Fußballstadion mit dem Blick auf die grünen Berge.

Während Tianjin den modernen Bauten Pekings nacheifert und fleißig alle Armenviertel in Häuserblocks umwandelt, sehen die Leute von Shangjian solche Gebäude höchstens im Fernsehen. Die Hauptstadt ist mehr als 3600 Kilometer entfernt.

In Tianjin herrschen jetzt eisige Kälte und frostige Winde. Es liegt Smog in der Luft – alle Heizungen sind angeschaltet. Bei uns ist es sogar jetzt im Winter sommerlich warm. Hier wachsen Palmen, Bambus, Gummibäume und Bananenstauden, es werden Zuckerrohr, Tabak und Reis angebaut, der „Weihnachtsstern“, in Deutschland eine kleine Zierpflanze, bildet hier riesige schöne Sträucher. Landwirtschaft kann hier das ganze Jahr über betrieben werden. Nachts wird es kühl und man kann dank der klaren Luft einen wunderbaren Sternenhimmel bewundern.

METROPOLE-PUZZLE

In der Millionenstadt Tianjin hat man bei jedem Haus das Gefühl, es wäre von oben in das Gesamtpuzzle der Stadt eingepasst worden. Die Straßen stehen im rechten Winkel zueinander, es gibt bizarre Autobahnnetze aus Unter- und Überführungen, und die hypermodernen Hochhäuser in den verschiedensten Baustilen und Farben bilden doch insgesamt eine Einheit, ein fast vollendetes Puzzle. Die einzigen Lücken darin bilden die dem Abriss geweihten Armenviertel mit aus verschiedenen Baumaterialien zusammengeflickten Hütten.

Shangjiang dagegen wird geprägt von einer kleinen Hauptstraße, von der aus man über zwei Treppen den höher gelegenen Marktplatz erreicht. Die Häuser sind locker um diesen Mittelpunkt gruppiert. An der Landstraße wartet immer ein Bus, der bei Bedarf in die Stadt rattert, ansonsten sieht man bunte, dreirädrige Vehikel und abenteuerliche kleine Lastwagen, deren Motor ohne Kühlerhaube offen liegt. In Tianjin ist jeder nur Teil einer anonymen Menschenmenge, die sich durch die Straßen drängt. Hier aber kennt man sich. Die Atmosphäre ist fröhlich und entspannt: die Leute sitzen einfach den ganzen Tag vor ihrer Wohnung, spielen Karten, rauchen, unterhalten sich. Sie lachen viel. Diese Menschen haben so gut wie gar keinen Besitz. Dennoch strahlen sie viel Freundlichkeit und Zufriedenheit aus. Es ist normal, dass sich die wenigen Autos die Straßen frei hupen müssen, weil auf ihnen die Wasserbüffel gemächlich dahin trotten. Überall fliegen Schmetterlinge in den schönsten Farben, und manchmal sieht man Eidechsen und Schlangen im Gebüsch verschwinden.

BACKOFEN VERMISST

Die Bildungsmöglichkeiten waren in Tianjin zahlreicher. Die Schule, an der wir lernten, war riesig und von protziger Architektur und für 5000 Schüler gebaut. Hier leben wir zusammen mit 500 Schülern an einer zweckmäßigen Schule mit der notwendigsten und billigsten Ausstattung. Wir genießen die Wärme sehr, doch vermissen wir das deutsche Essen, oder wenigstens einen Backofen. In Tianjin konnte man auch für den europäischen Geschmack alles bekommen, wenn man bereit war, genug Geld auszugeben. Tianjin ist eben viel internationaler. Hier aber sind wir für die meisten Menschen die ersten Europäer die sie zu Gesicht bekommen, und wir werden bestaunt, freundlich gegrüßt und sehr oft mit einer Handbewegung eingeladen, Gäste an einem der kleinen niedrigen Tischchen zu sein.

Millionenmetropole und auch die südliche Provinz waren für uns beides gleich fremd, doch nach und nach fühlen wir uns heimisch in diesem schönen Ort Shangjiang, der übersetzt so etwas heißt wie am „Über dem Fluss“. Josefine Markarian

Josefine Markarian

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })