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Landeshauptstadt: Vom falschen Freund zu wahrer Freundschaft

Die Musiker der Potsdamer Band „Die Patienten“ haben ihre Sucht mit Liedern überwunden

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Die Musiker der Potsdamer Band „Die Patienten“ haben ihre Sucht mit Liedern überwunden Von Karsten Sawalski Als Band nennen sie sich „Die Patienten“. In ärztlicher Behandlung befinden sich die drei Potsdamer nicht. Schon seit einem Jahr nicht mehr. Der Name soll als Anspielung auf die berühmte Berliner Band „Die Ärzte“ wirken. Selbstbewusst sind sie ja. Aber ihr Selbstvertrauen ist nicht selbstverständlich – es ist ein neues. Die Bewältigung einer langen und schweren Krise hat damit zu tun. Die Musik ist ihnen dabei zum Instrument der Lebenshilfe geworden. Rainer Volland (45), Uwe Haft (40) und Thomas „Mosche“ Henning (43) lernten sich als richtige Patienten in der Suchtabteilung der Salus-Klinik in Lindow kennen. Seitdem sind sie unzertrennlich – nicht nur als Musiker. „Wir haben ein Feingefühl, wie unter Brüdern entwickelt“, sagt Rainer, „wir passen aufeinander auf und wir gehen sehr ehrlich miteinander um“. Auf die alltägliche Frage „Wie geht es Dir?“ erwarten die drei Freunde voneinander eine ehrliche Antwort. Damals – in ihrem alten Leben – spielten sie sich und anderen täglich etwas vor. Das soll jetzt vorbei sein. Die Einsamkeit der Sucht – bis zu dem Punkt, an dem nur noch Selbstmord der einzige Ausweg zu sein schien – liegt hinter ihnen. Gemeinsam arbeiten sie an ihrer Zukunft, die erst durch die schwierige Vergangenheit möglich wurde. „Wir haben durch die Sucht mehr über uns und das Leben erfahren, als Menschen, bei denen immer alles glatt läuft“, sagt Rainer. Der 45-Jährige hat, trotz seines von Erfahrungen gezeichneten Gesichts, eine optimistische Ausstrahlung: Die Augen leuchten, die Mundwinkel ziehen sich unentwegt nach oben. Musikmachen ist seine Lebensfreude und dabei geht es ihm nicht um Ruhm und Geld, wie er behauptet. „Ich will den Spaß nicht verlieren, den wir jetzt miteinander haben“, sagt Rainer und denkt kurz zurück: An die Zeit als Selbstständiger in der Hausverwaltungsbranche, als er keine Zeit mehr hatte, sich die Gitarre umzuhängen, als ihn die Schulden und der Arbeitsstress gefangen hielten und nur der Griff zur Flasche eine trügerische Freiheit versprach, die ihn aber in die Abhängigkeit führte. Davon wieder frei zu sein, das beflügelt ihn regelrecht. „Endlich kann ich wieder reden, endlich kann ich wieder vertraun, endlich kann ich wieder zuhörn, endlich bin ich dazu bereit“, heißt es in seinem Lied „War ich blind“. So „blind“ wollen sie nicht meHr durchs Leben gehen. Die drei Freunde nehmen ihr Band-Projekt sehr ernst: „Wir machen das nur mit viel Freude für uns und Druck soll erst gar nicht wieder aufkommen“, sagt Rainer. Schritt für Schritt wollen sie mit ihrer Musik in die Öffentlichkeit. Von dem, was sie an Geld einspielen, verbessern sie nach und nach ihre Instrumente und das Equipment. Zum Proben müssen sie sich nun nicht mehr in Rainers Zwei-Raum-Wohnung treffen. Sie haben jetzt in der Babelsberger Puppenbühne Burattino einen eigenen Proberaum. Das Repertoire der „Patienten“ ist mittlerweile auf zwölf eigene Stücke angestiegen. Der „Patienten“ bewegt sich im Stil von Marius Müller-Westernhagen, Keimzeit, den Dire Straits oder Chris Rea. Die von Rainer getexteten und komponierten Songs drehen sich längst nicht mehr nur um die gemeinsame Vergangenheit. „Das Thema Alkohol-Sucht haben wir textlich abgearbeitet“, sagt Rainer. Die allesamt deutschsprachigen Rocklieder der „Patienten“ heißen: „Ich liebe mich“, Zuhörn Können“ oder „Manchmal Gefühle“. Nun suchen „Die Patienten“ eine breitere Öffentlichkeit. Vor einigen Monaten saßen die drei Potsdamer, in adretter Kleidung, auf einem roten Ledersofa im Studio von Fernsehen aus Berlin (FAB). „Ganz fantastisch“ fand der Moderator, dass „Mosche“ innerhalb weniger Monate das Bassspielen selbst erlernt habe und „Die Patienten“ seien gutes Beispiel dafür, was es für Möglichkeiten gebe, gemeinsam gegen eine Sucht zu kämpfen. Das jüngste Konzert in Babelsberg haben sie voller Hoffnung als „Tourneeauftakt 2005“ angekündigt. Alkohol wird beim „Tag der offenen Tür“ im Garten der Puppenbühne Burattino nicht ausgeschenkt. Aber selbst wenn: „Die Patienten“ wollen ihre Auftritte nicht auf Anti-Alkoholiker-Treffen beschränken. Betroffenheitsstimmung kommt erst gar nicht auf. Es sind hauptsächlich einige Freunde und Bekannte da. „Die Patienten“ präsentieren alle Songs der selbstproduzierten CD wie beim richtigen Rockkonzert: Lustig und optimistisch geht es zu. Tanzbare Rhythmen mit Reggae- und Countryklängen bestimmen das Programm, nur wenige traurige Balladen sind noch zu hören. Zwischen den Liedern sucht Rainer immer wieder das Gespräch mit dem Publikum. Er erklärt, wie und warum die Songs entstanden sind. Auf einem weißen Bettlaken, das vor der Bühne aufgespannt wurde, steht das Motto der Band: „Schweigen ist albern. Reden ist Gold. Zuhören ist Brilliant“. Dass es auch Menschen ohne Suchtprobleme schwer fällt, Gefühle zu zeigen, wird deutlich als die „Patienten“ ihren neuesten Song „Kuscheln“ spielen und die Gäste dazu aufrufen, sich untereinander einzuhaken. Es dauert eine Weile bis das Publikum mitmacht und sich auch fremde Sitznachbarn annähern – aber es funktioniert. Diese Situation ist für „Die Patienten“ eine alltägliche Erfahrung, seit sie die Suchtklinik in Lindow verlassen haben: Sie haben ein neues Leben begonnen, aber die Welt ist immer noch dieselbe. Ihre ersten Auftritte fanden noch in der Klinik statt, unter Gleichgesinnten. Es seien sehr bewegende Momente gewesen, erzählt Uwe. „Lindow war wie auf einem anderen Planeten“, sagt Uwe, „dort gab es unter allen Patienten einen großen Zusammenhalt“. Deshalb fiebern sie schon jetzt ihrem Auftritt beim achten Ehemaligen-Treffen in der Salusklinik entgegen. „Dort werden wir erstmalig vor vier- oder fünfhundert Leuten spielen“, sagt Rainer. Rainer, Uwe und „Mosche“ wirken als „Die Patienten“ authentisch, auch wenn ein Teil ihrer Musik vom Band kommt: Das Schlagzeug, die Violinen, Trompeten und eine zweite E-Gitarre hat Rainer mit dem Computer vorprogrammiert. Sie wollen keine anderen Musiker aufnehmen, weil ihnen ihre Freundschaft viel bedeutet. „Lieber mit guten Freunden auf der Bühne stehen, als mit begnadeten Musikern“, meint „Mosche“ dazu. Der 43-Jährige trägt sein Haar immer noch so lang wie die Rockmusiker der 70er Jahre. Als Fan und nicht als Musiker kam er in der Lindower Klinik dazu. „Er kam irgendwann runter in den provisorischen Übungsraum, hörte zu und musste sein Urteil dazu abgeben“, erzählt Rainer über die Anfänge, als sie noch mit anderen Patienten Beatles- und Puhdys-Lieder nachspielten. „Dann musste ich erstmal das Keyboard bedienen“, sagt „Mosche, „das war am einfachsten“. Es seien die gemeinsamen Erfahrungen, von der ersten Entgiftung im Potsdamer Klinikum Ernst von Bergmann („Aue“) bis zu den Gruppensitzungen in Lindow, die ihn mit den anderen beiden „Patienten“ seitdem untrennbar verbinde, sagt „Mosche“ und fügt pathetisch hinzu: „Ich bin mit ihnen den langen Weg von der Aue gegangen“. Rainers „Musikerkarriere“ reicht wesentlich weiter zurück. Mit 18 Jahren besuchte er die Potsdamer Musikschule und war bis zum Ende der DDR Teil einer Potsdamer Band, die sich nach der ostdeutschen Lebensgefährtin Che Guevaras, „Tamara Bunke“, benannte – es wurden politische Lieder gespielt. „Nach der Wende war keine Zeit mehr für die Musik“, erzählt Rainer, „ich entfernte mich, seit der Wende immer weiter von mir selbst und war ab 1998 fast ununterbrochen dicht und habe andere Menschen enttäuscht“. Er war zweimal verheiratet, mit seinen beiden Töchtern hat er jetzt wieder Kontakt. Den Schmerz und die eigenen Schuldgefühle hat Rainer in „War ich blind“ niedergeschrieben: „Ich war lange Zeit ich nicht selber, war kein Spiegelbild von mir selbst“. Wenn es auch oft andere sind, die einem zum Trinken ermutigen, ist die Schuldfrage für Uwe klar: „Ich war es doch selber der das Glas angehoben und ausgetrunken hat, bis es nicht mehr ging“. Von Uwes früherer Schüchternheit ist im Babelsberger Garten nichts mehr zu spüren. Ganz allein steht er mit seiner Gitarre am Mikrofon und singt „Gerti“ mit der rotzigen Entschlossenheit eines Marius Müller-Westernhagen. „Die Patienten“ fanden erst durch den falschen Freund „Alkohol“ zu wahrer Freundschaft. Sie haben ihre Krise als Chance begriffen, ihr Leben geordnet und auf eine solide Basis gestellt. Das sind gute Voraussetzungen für den Erfolg. Wer weiß, vielleicht werden „Die Patienten“ mal so berühmt wie „Die Ärzte“. Internet: www.band-die-patienten.de

Karsten Sawalski

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