Landeshauptstadt: Vom Geiger Kolleg an die Hochschule Jascha Nemtsov lehrt in Potsdam und Weimar
Weimar/Potsdam - Seit einem Jahr ist Jascha Nemtsov nun schon als Pendler unterwegs. Denn so lange ist der 50-jährige Pianist und Musikwissenschaftler nicht mehr nur verantwortlich für die Kantorenausbildung am Abraham Geiger Kolleg Potsdam, sondern auch für eine Professur für jüdische Musikgeschichte in Weimar.
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Weimar/Potsdam - Seit einem Jahr ist Jascha Nemtsov nun schon als Pendler unterwegs. Denn so lange ist der 50-jährige Pianist und Musikwissenschaftler nicht mehr nur verantwortlich für die Kantorenausbildung am Abraham Geiger Kolleg Potsdam, sondern auch für eine Professur für jüdische Musikgeschichte in Weimar. An der dortigen Musikhochschule „Franz Liszt“ leitet er den europaweit ersten und einzigen Lehrstuhl zur Geschichte jüdischer Musik.
Das regelmäßige Pendeln sei für ihn kein Problem, sagt der schlanke, hochgewachsene Mann. „Ich habe nur Angst, dass irgendwann das Klavierspiel zu kurz kommt.“ Das Klavier sei seine Leidenschaft, „aus der sich alles andere entwickelt hat“.
Jascha Nemtsov wurde 1963 als Sohn eines jüdischen Gulag-Überlebenden im sibirischen Magadan geboren. Das Klavierspielen lernte er in Leningrad an einer Spezialschule, die er mit einer Goldmedaille absolvierte. Die weitere musikalische Ausbildung erhielt er am Konservatorium im heutigen St. Petersburg. 1992 kam er mit seiner Familie nach Deutschland. „Wir waren Kontingentflüchtlinge“, sagt er. Dabei amüsiert er sich noch immer über die bürokratische Einordnung der ausgewanderten Juden aus der früheren Sowjetunion durch die deutschen Behörden. „Nein, an der Bezeichnung haben wir uns nie gestört“, versichert er. Für ihn und die Familie sei es wichtiger gewesen, „in ein Land zu kommen, in dem wir als Juden frei leben können“.
In der Sowjetunion sei dies bis zu Gorbatschows Perestroika kaum möglich gewesen, erinnert sich Nemtsov. Seine Eltern seien zwar orthodoxe Juden, hätten ihren Glauben aber kaum praktiziert. „Religiöse Inhalte bekam ich nicht vermittelt, wohl aber Einblicke in jüdische Traditionen und Geschichte.“ Dieser Hintergrund war letztlich auch der Impuls für seine musikwissenschaftlichen Forschungen. Sie gelten insbesondere der jüdischen Musik und jüdischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Vieles davon sei durch Nationalsozialismus und Holocaust gründlich in Vergessenheit geraten, sagt Nemtsov. Weithin große Beachtung fanden und finden deshalb Wiederentdeckungen wie die Neue Jüdische Schule und ihre Vertreter. Sie versuchten sich in Russland und Westeuropa zwischen den beiden Weltkriegen an einem jüdischen Musikstil auf der Grundlage von Synagogenmusik und Folklore. Weil heutige Konzertbesucher von solchen Zusammenhängen wenig bis gar nichts wissen, lädt Nemtsov oft zu Gesprächskonzerten ein. In dem Programm „Mozart in Theresienstadt“ beispielsweise lenkt er die Aufmerksamkeit auf den Lageralltag im Konzentrationslager, in dem die Nazis zu Propagandazwecken auch musikalische „Freizeitgestaltung“ erlaubten.
In seiner Weimarer Professur sieht Nemtsov eine willkommene Gelegenheit, neben der Kantorenausbildung am Abraham Geiger Kolleg auch unter anderen Musikstudenten die Erkenntnis zu vermitteln, dass jüdische Musik seit Jahrhunderten ein integraler Bestandteil der deutschen und europäischen Kultur ist. „Buchenwald ist Teil dieser Geschichte, aber keineswegs alles.“ T. Bickelhaupt
T. Bickelhaupt
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