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Sport: Vom Moosfenn aufs Amsterdamer Kopfsteinpflaster Am 8. März 1931 wurde der 1. Potsdamer Ravensberglauf gestartet – heute startet der 20. Humboldtlauf durch die Ravensberge

Von Hans Groschupp „Hier spricht der Organisator des längsten deutschen Geländelaufes über seine Veranstaltung und die Notwendigkeit deutscher Geländeläufe“, „tönt“ es verbal im Untertitel eines Artikels der Ausgabe 11/1931 des wöchentlich erscheinenden Fachorgans „Der Leichtathlet“. Autor ist der Potsdamer Hans Werner Edler von der Planitz.

Von Hans Groschupp „Hier spricht der Organisator des längsten deutschen Geländelaufes über seine Veranstaltung und die Notwendigkeit deutscher Geländeläufe“, „tönt“ es verbal im Untertitel eines Artikels der Ausgabe 11/1931 des wöchentlich erscheinenden Fachorgans „Der Leichtathlet“. Autor ist der Potsdamer Hans Werner Edler von der Planitz. Ein alter Streit, um das beste Training der Langstreckenläufer ist neu entflammt. Hatte man noch Anfang der 20er Jahre auf die Cross-Country- Läufe der Briten geschworen, war es nach den Siegen der Finnen Paavo Nurmi und Ville Ritola bei den Olympischen Spielen 1920 in Antwerpen und 1924 in Paris um den Schwur leiser geworden. Die beiden Superläufer sollen ebenso wie der Schwede Edvin Wide Trainingsläufe im flachen Terrain bevorzugt haben. „Quer durch Potsdam“ Und so bekommt im deutschen Disput natürlich jener Recht, der 1926 Nurmi und Wide in Weltrekordzeit bezwang: Otto Peltzer. Aus dem rein in die Berge wird ein raus aus den Bergen. Und wieder zurück in die Berge, meint unser Potsdamer Junker. Er läuft selbst Marathondistanzen und trainiert beim VfL Potsdamer Sportfreunde alle langstreckeninteressierten Damen und Herren. Im 1917 gegründeten Deutschen Reichsausschuss für Leibesübungen ist er ehrenamtlicher Reichstrainer. Der sportliche Ehrgeiz jener Jahre besteht darin, erstmals wieder deutsche Athleten nach Olympia zu bringen. Nach der Niederlage im Weltkrieg, eine Bezifferung gab es noch nicht, hatte sich der Begründer der Olympischen Spiele der Neuzeit, der französische Baron Pierre de Coubertin, 1919 in Versailles dahin gehend geäußert, dass er die Deutschen frühestens wieder 1928 bei Olympia sehen wolle. Dem wurde Rechnung getragen. Die Olympiabegeisterung, insbesondere das finnische Lauffieber, das sich auch in Potsdam ausbreitete, konnte Coubertin aber nicht bremsen. Der größte Straßenlauf der Welt, das Staffelrennen Potsdam–Berlin, hatte den Weltkrieg überstanden. Nun gibt es dazu nach Berliner Vorbild seit 1926 den Straßenlauf „Quer durch Potsdam“ über 10 km. Im Trikot des VfL Potsdamer Sportfreunde 04 siegt der Reichswehrgefreite Franz Wanderer vom Infanterieregiment Nr. 9. Die Wettkampfstätten des VfL finden gerade im Land -und Wassersportplatz Luftschiffhafen ihre Vollendung. Wanderer ist mit 25 ein Jahr älter als sein adliger Trainingskamerad. Jener rennt vom Moosfenn den Großen Ravensberg hinauf, lässt sich zum Teufelsee herunter trudeln und läuft das ganze zurück, um den Parcours noch ein paar mal zu wiederholen. Für Wanderer, der ob seines Temperamentes von allen „der lustige Franz“ genannt wird, ist das fast zu viel. Aber nur fast, denn er verrät dem Laufverrückten Hans Werner ein Geheimnis nicht. Per Inserat lädt von der Planitz alle Potsdamer zum Laufen ein. Man trifft sich jeden Sonntag um 10 Uhr vor dem Restaurant Landsmann an der Endhaltestelle der Straßenbahnlinie 5 auf der Michendorfer Chaussee und läuft von hier aus los. Das Training schlägt an. 1927 wird Franz Wanderer in Breslau für den VfL Potsdamer Sportfreunde Deutscher Meister im Marathonlauf. Die Stadt empfängt ihren Helden, der mit der S-Bahn auf dem Hauptbahnhof eintrifft. Er wird gefeiert. Der Vereinsvorsitzende Dr. Ewaldt lüftet sein Geheimnis: Franz ist in Ilmenau geboren, also eigentlich Thüringer. Der Beifall bricht deshalb nicht ab. Von der Planitz ist nun endgültig klar, warum seinem Eleven die Tortur in den Ravensbergen besser bekam als ihm selbst. Franz Wanderer kann seinen Meistertitel zweimal hintereinander verteidigen. Er schafft als erster Sommersportler Potsdams die Teilnahme an Olympischen Spielen. Bis zur Hälfte des Marathonlaufes 1928 in Amsterdam läuft Wanderer in der Spitzengruppe. Dann muss der Ravensbergsteiger dem holländischen Kopfsteinpflaster Tribut zollen. Das Stützgewebe macht nicht mehr mit. Er kann den Lauf nicht beenden. Wann Franz Wanderer aus der Reichswehr ausschied, wann er heiratete, ist heute nicht mehr nachprüfbar. Im Adressbuch Potsdams ist 1932 ein Versorgungsangestellter Franz Wanderer in der Waisenstraße 51 eingetragen. Später gibt es den Eintrag eines Steuerfachmannes in der Türckstraße 13. Hans Werner von der Planitz wohnte in der Kurfürstenstraße 19. Erfolge ziehen an. Ruth Selle, ebenfalls für den VfL Potsdamer Sportfreunde startend, gewinnt mehrere Einzelmeisterschaften im Geländelauf. Auf der Bahn wird sie 1930 und 1932 jeweils Dritte der Deutschen Meisterschaften über 800 m. Weltrekord im Luftschiffhafen An einem Spätsommerabend 1930 hat von der Planitz im Luftschiffhafen ein Abendsportfest organisiert, bei dem zwei Weltrekorde angegriffen werden sollen. Für den Versuch Nr.1, die Bestmarke des Laufes über 1 Stunde zu brechen, hat der Trainer und Organisator die Berliner Meisterläufer Paul Hempel und Heinrich Brauch eingeladen. Das Unterfangen misslingt. Danach wird Versuch Nr. 2 gestartet. Die Potsdamer Tageszeitung berichtet darüber am 29. 9. 1930 unter der Überschrift, „Ein großer Tag im Luftschiffhafen“. Über die Distanz von 3 x 800m verbessert die Damenstaffel des VfL in der Besetzung Schwarzer, Stimmseld und Selle den Weltrekord auf 7:49,9 min. Es ist der erste Weltrekord, der im Luftschiffhafen aufgestellt wurde. Fräulein Selle war das Ravensbergtraining also auch gut bekommen. Im April 1932 organisiert von der Planitz den 2. Ravensberglauf über die Distanz von 17 km. 50 Läufer aus Deutschland starten. Obwohl nur drei Läufer aufgeben, sind sich fast alle Absolventen darüber einig, dass die Strecke zu schwer gewesen sei. Der Breslauer Sportlehrer Heinz Otto – Peltzer lässt grüßen – protestiert im Fachorgan. Gegen Baumstämme, Gräben, Zäune und Hecken habe er nichts, aber gegen eine Kiesgrube, die so aussieht wie eine Diamantenmine in Südafrika schon. Das mörderische Gelände sei nicht geeignet, das Niveau im Langstreckenlauf zu heben. Der Ravensberglauf sei neben dem Brockenlauf der schwerste Geländelauf in Deutschland, wettert Otto. Er werde nur durchgeführt, weil ein paar Unentwegte und Idealisten daran Spaß gefunden haben. Hans Werner von der Planitz verteidigt seine Position im Fachorgan gelassen. Diese Profilläufe und nur diese würden im Training Kraft und Willen verbessern und sich in den Bahnergebnissen positiv auszahlen. Seine Erfolge gäben ihm recht. Sie taten es weiterhin. Bei den Europameisterschaften 1934 in Turin wird Schützling Heinrich Brauch aus Berlin Fünfter. Vier Jahre später in Paris gelingt von der Planitz mit dem Potsdamer Erich Puch die Wiederholung des fünften Platzes. Nach dem Krieg geht Hans Werner von der Planitz in die Westzone und wird bald Bundestrainer. An seine Potsdamer Erfolge kann er nicht mehr anknüpfen. Er stirbt 1979 in Ottobrunn. Franz Wanderer kehrt nicht aus dem Krieg zurück. Der Beitrag entstammt dem derzeit in Arbeit befindlichen Buch Hans Groschupps „Die Welt des Sports von gestern“, in dem auch die Crosslauf-Kapitel der 50er und 60er Jahre behandelt werden.

Hans Groschupp

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