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Homepage: „Vom Stadtschloss lernen“

„Architektur muss sich jenseits von Modetrends und Zeitgeist bewegen“ FH-Architekt Ludger Brands plädiert für eine komplette Neuerrichtung des Stadtschlosses als Landtag

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Herr Professor Brands, nach der Bürgerbefragung scheint der Landtag am Potsdamer Alten Markt wieder in greifbare Nähe zu rücken. Sie fordern nun, den Blick auf die größtmögliche architektonische Qualität zu richten. Ein Plädoyer für den Landtag im Schloss?

Mit der Wiedererrichtung des Fortunaportals ist bereits ein wichtiger Schritt vollzogen worden. Das Fortunaportal allein, aber auch nur eine partielle Errichtung des Stadtschlosses unter Beibehaltung der aktuellen Straßenführung, wird der historischen Bedeutung dieses Ortes – Teil des Gesamtkunstwerkes Schlösser und Gärten Potsdams zu sein – aber vor allem seiner gesamtheitlichen baukünstlerischen stadträumlichen Qualität am Alten Markt in seiner ursprünglichen Fassung in keiner Weise gerecht. Diese Chance einer Neuerrichtung des Stadtschlosses wäre nicht nur einmalig für Potsdam, sondern für die gesamte Bundesrepublik Deutschland von beispielhafter Bedeutung. Der Nachkriegsstädtebau hat leider zu oft bewiesen, dass falsche Prioritäten die städtebaulichen Diskurse dominiert haben und nicht die Fragen nach stadträumlicher Inszenierung und architektonischer Ausdrucksstärke.

Warum halten Sie es für so wichtig, sich mit dem architektonischen Inhalt des ehemaligen Stadtschlosses zu beschäftigen?

Die architektur- und kunstgeschichtliche Bedeutung des Stadtschlosses mit seinem großartigen Reichtum an tektonischer Gliederung und Plastizität, baukünstlerischer Qualität von Fassade, Ornament und skulpturaler Wirkung, sowie materieller Durchdringung ist ein so hohes Gut, dass sie eine Auseinandersetzung damit unabdingbar macht. Die Tristesse vieler Deutscher Innenstädte – dazu zählt zur Zeit noch Potsdams Mitte – ist ein Beleg für politisch verordnete Zerstörung und die Positionierung der Nachkriegsarchitektur, der vor allem eines abhanden gekommen ist: das Auratische. Die „Keimfrei-Ästhetik“ der an Beliebigkeit und Austauschbarkeit nicht zu übertreffenden Shoppingwelt-Architekturen der letzten zehn Jahre ist auch keine Antwort auf die Bedürfnisse und Wünsche der Stadtbürger, die assoziative Bilder und Unverwechselbarkeit suchen. Architektur muss sich immer jenseits von Modetrends und schnellem Zeitgeist bewegen und kann nur in einer das gesamte Gebäude durchdringenden Qualität überdauern und in Würde altern. Das können wir vom Stadtschloss lernen, das schaffen keine modernen oder modischen Glaspaläste.

Sie fordern die Einsetzung einer Expertenkommission zur Sicherung der architektonischen Qualität.

Erst wenn alle Beteiligten das Schloss verstanden haben, kann über die architektonische Fassung des neuen Landtages diskutiert werden, dann gegebenenfalls auch über eine moderne Interpretation mit hohem baukünstlerischen Anspruch. Das erfordert einen diskursiven Prozess, der nur von einer in fachlicher und sachkundiger Hinsicht hochkarätig besetzten Expertenkommission geleitet werden kann, die die verantwortlichen Entscheidungsträger im Auswahlverfahren des Landtages kompetent berät und damit eine bestmögliche Qualität sichert. Gestaltungsbeiträge aktueller öffentlicher Stellungnahmen wie „moderner Landtag mit hübscher Fassade“ oder „teilhistorisch und transparent modern“ sind kein Garant für Qualität und werden der Bedeutung der Sache in keiner Weise gerecht. Hier wird ein ernstes Thema unprofessionell zerredet und nicht gerade bereichert. Auch weitere öffentliche Abstimmungen zum architektonischen Bild – historisch oder modern halte ich für völlig abwegig. Aussagen zur Architekturqualität entstehen nicht per Akklamation, sondern nur auf fachlich hohem Niveau.

Ist die geplante Verkehrslösung nicht viel zu kurz gedacht? Der Landtag wird schließlich die Innenstadt nahezu vollkommen abriegeln. Für das hohe Verkehrsaufkommen bleibt nur ein enger Durchfluss.

Es zeugt schon von einem hohen Maße an geistiger Armut unserer Gesellschaft, wenn erlebbare Wohn-, Aufenthalts- und Lebensqualität einer Stadt immer nur auf Fragestellungen der Verkehrsführung reduziert werden. Das zentrale Problem der aktuellen Situation ist die Maßstabslosigkeit des Ortes, die unüberwindbaren autobahnähnlichen Straßendimensionen, die mit den für diesen Ort angemessenen Proportionen von Stadtraum, Haus und Straße brechen.

Sie haben vorgeschlagen, die Berliner Straße wieder bis zum Alten Markt durchzuziehen.

Städte der Größe und Struktur von Potsdam haben ihre verkehrlichen Anliegen immer über ein feinmaschiges Netz von Straßen organisiert. Auch das ist ein Qualitätsmerkmal europäischer Bautradition. Langfristig – in den nächsten 30 Jahren – sollte die Berliner Straße wieder hergestellt werden, jedoch nicht als Hauptdurchgangsstraße, sondern als ein Bestandteil dieses Netzwerkes und vor allem als geschichtlich bedeutende Verbindung von Berlin mit Potsdams Mitte und einem möglicherweise künftigen gemeinsamen Landtag. Die Verkehrsführung ist immer nur ein Teilaspekt gesamtheitlicher Betrachtung von Stadt und nicht die Hauptsache.

Droht nicht durch den Einzug des Landesparlamentes – vor allem außerhalb der Bürozeiten – am Alten Markt ein totes Stadtviertel?

Der Landtag im Stadtschloss ist als Impuls zu begreifen für eine stadträumlich und architektonisch hochwertige Entwicklung der unmittelbar an den Alten Markt angrenzenden Gebäude, die in ihrer traditionellen Mischung von Arbeiten und Wohnen die belebenden Faktoren der Mitte sein werden. Gebäude mit Nutzungen für die Wissenschaft und Kultur, Handel und Dienstleistung, vor allem aber Gastronomie und vielleicht die Wiedereinführung des Wochenmarktes auf dem Alten Markt, und das Wohnen in den Obergeschossen aller den Platz rahmenden Gebäude sind die Funktionsmischung, die über viele Jahrhunderte das Erfolgsmodell einer vitalen Innenstadt repräsentiert.

Sollte in Zeiten knapper öffentlicher Kassen überhaupt ein Schloss für den Landtag aufgebaut werden?

Wo besser kann sich ein demokratisch gewähltes Parlament ansiedeln und verankern als in der Mitte der Stadt und ihrer Bürger. Viele europäische Städte ließen sich da als Beispiele für dieses Szenario anführen. Dass die Frage der Finanzierung und Verwendung von Steuergeldern die Bürger der Stadt unmittelbar berührt und Emotionen in Bewegung bringt, ist absolut verständlich. Zunächst muss jedoch festgestellt werden, dass viele Vorleistungen bereits erbracht wurden, die an jedem anderen Standort erneut anfallen würden und finanziert werden müssten. Ein selbstbewusster Auftritt des Parlamentes an diesem Ort kann und wird alle Brandenburger Bürger mit Stolz erfüllen.

Welche Bedeutung hatte für Sie die Bürgerbefragung?

Mit der Bürgerbefragung war unabhängig von der Art der Fragestellung eine viel bedeutendere Grundfragestellung verbunden. Sehen es die Bürger der Stadt Potsdam als ihr zentrales Anliegen an, mit ihrer Stimme der Bedeutung der Wiedergewinnung der Mitte der Stadt Gewicht zu geben und nicht zurück, sondern in die Zukunft zu blicken. Es ging um mehr, als sich zu einer Variante zu bekennen, es ging darum, die Zukunftsfähigkeit der Stadt Potsdam in historischer aber auch kultureller Hinsicht abzusichern. Die beeindruckende mehrheitliche Zustimmung zum Standort Stadtschloss belegt die große Sehnsucht der Potsdamer Bürger nach der Rückgewinnung ihres Zentrums, das die baulichen Verluste, aber auch mentalen Entbehrungen der letzten 40 bis 50 Jahre inhaltlicher Leere rehabilitiert, im Sinne einer Wiedergutmachung.

Eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen?

Es geht darum, dass die Stadt Potsdam in naher Zukunft wieder durch ein erinnerbares Bild von hoher stadträumlicher, architektonischer und atmosphärischer Qualität wahrgenommen werden kann, es geht um die Binnenwirkung der Stadt auf ihre Bürger und die Außenwirkung auf ihre Besucher und die europäische Öffentlichkeit. Programmatik und Technokratie stehen sich im bisherigen Prozess da ebenso gegenüber wie Qualität von Architektur und die reine Funktionalität des Verkehrs, die Sicherung von neuer gebauter Zukunft oder die Zementierung bestehender banaler Realität. Zu lange ist die Ernsthaftigkeit dieses Prozesses aufs Spiel gesetzt worden zugunsten von grenzenlosem Populismus und egozentrischer Selbstinszenierungen. An Stelle des Zerredens bis hin zum Kleingeist muss nun wieder Zukunftsgläubigkeit, Weitblick und Großzügigkeit treten. Jeder Wandel hat das selbe Problem. Alle Betroffenen sehen nur, was sie verlieren, aber nicht, was sie gewinnen können. Potsdam ist nun bereit für einen neuen Masterplan.

Wie beurteilen Sie die nächste Abstimmung der Stadtverordneten zum Bebauungsplan Ende Januar?

Das eindeutige Ergebnis der Befragung kann die politische Entscheidung der verantwortlichen und gewählten Stadtverordneten nicht ersetzen, jedoch aber positiv beeinflussen. Nun geht es um die vielleicht wichtigste Entscheidung für die Zukunft der Stadt und die Gewinnung einer wirklichen Mitte. Die Bürger haben für die starke Lösung votiert. Der Standort „Landtag im Stadtschloss“ am Alten Markt ist kein aufgeweichter Kompromiss, sondern verpflichtet zu verantwortlichem Handeln. Was die Bürger der Stadt Dresden in den letzten zwölf Jahren erreicht haben, kann nun auch in Potsdam Realität werden.

Fragen von Jan Kixmüller

Prof. Ludger Brands

ist Architekt in Potsdam und lehrt an der „Potsdam School of Architecture“ der Fachhochschule Potsdam. Mit Kollegen hat er

einen Masterplan für Potsdam erstellt.

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