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Homepage: Von eigenen und fremden Händen Wie das menschliche Bewusstsein entsteht

Der Eifelturm, der Mond und der Papst haben eine Gemeinsamkeit, behauptet Wolfgang Prinz. Alle würden als Tatsachen wahrgenommen.

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Der Eifelturm, der Mond und der Papst haben eine Gemeinsamkeit, behauptet Wolfgang Prinz. Alle würden als Tatsachen wahrgenommen. Während der Mond allerdings als naturgegeben angenommen wird, sei die gesellschaftliche Rolle des Papstes ein soziales Artefakt. Der Eifelturm sei als technisches Artefakt in Eisen aus dem Boden gestampft. Wie nimmt der Mensch seine Umwelt und sich selbst wahr und was erlaubt ihm, jeweils angemessen zu reagieren? Wie weit sind seine Handlung bereits vor dem getätigten Willensentschluss vorgeprägt? Wie entsteht das individuelle Bewusstsein?

Diese Fragen sind der Forschungsschwerpunkt des Psychologen Wolfgang Prinz. Der ehemalige Direktor des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften gab unlängst im Einstein Forum einen Einblick in seine wissenschaftliche Arbeit. Nicht erst die Neurowissenschaften des 20. Jahrhunderts beschäftigten sich mit der Entstehung des menschlichen Bewusstseins. Schon der christliche Philosoph Thomas von Aquin machte sich im 13. Jahrhundert Gedanken darüber, wie sehr der Zuhörer als Person in den Akt des Hörens mit einbezogen ist und daher nur hört, was er zu hören erwartet. Auch bei dem deutschen Philosophen Franz Brentano spielten die unterschiedlichen Kategorien der Wahrnehmung der Umwelt eine große Rolle. Er unterteilte sie in Vorstellungen, Urteile und Gemütsbewegungen. Es bliebe die Frage, was überhaupt der Vorstellung von der Welt im Bewusstsein des einzelnen zugrunde liege, bemerkt Prinz. „Subjektivität ist eine soziale Tatsache, aber wie entsteht die besondere individuelle Wissensstruktur?“, fragt er. Lange Zeit seien Philosophie und Psychologie davon ausgegangen, dass eine Art „individueller Naturalismus“ existiere. Das Selbst sei demnach wie ein Organ des Geistes zu betrachten und werde von der Natur vorgeben. Der Einfluss von Spiegelungsprozessen mit dem Gegenüber werde heute erst langsam erkannt. Im Zusammenspiel mit den Neurowissenschaften versuche die Psychologie gegenwärtig neu zu umreißen, was das Individuelle am einzelnen Bewusstsein ausmacht.

Zwar gebe es schon seit dem Anfang des vergangenen Jahrhunderts den „Spiegel-Test“. Dabei hatte der Psychoanalytiker Jacques Lacan das Entstehen des eigenen Ichs an dem Zeitpunkt festgemacht, ab dem das Kleinkind in der Lage ist, sich im Spiegel zu erkennen. „Aber jubelt das Kind wirklich über die vollständige Selbsterkennung im Spiegel?“, fragt Prinz. Oder erfreue es sich einfach nur an dem neu erkannten Spielzeug. Der Psychologe weist darauf hin, dass auch Tiere wie Paviane und Wale häufig in der Lage seien, das Spiegelbild als Wiedergabe ihrer selbst zu erkennen. Daraus folge nicht zuletzt, das die naturgegebenen physischen Komponenten der Selbstwahrnehmung wohl nicht so entscheidend seien wie die soziale Spiegelung. Das Kleinkind ahme die Gesichtszüge seiner Mutter nach und auch der Diskussionsteilnehmer reagiere zumeist auf die Gesten und Gebärden des anderen. „Verschränkt der eine seine Arme hinter dem Kopf, macht das in der Regel auch der andere“, hat der Wissenschaftler beobachtet.

Das Problem lasse sich nicht auf die aktuell in der Diskussion so beliebten Spiegelneuronen reduzieren, wirft Prinz ein. Es sei komplexer. Entscheidend bei der Herausbildung des Selbst sei vermutlich, wie der eigene und der fremde Körper wahrgenommen werde. Ein psychologischer Test illustriert dies. Eine Gummihand wurde dem Versuchsteilnehmer als dritte Hand neben der eigenen unter einem Tuch präsentiert. Dies verwirrte die Probanden. Sie akzeptieren die künstliche Gliedmaße als eigene, wenn die Gummihand bedroht oder gestreichelt wurde. „Das wirft viele Fragen nach der inneren Verbindung von Wahrnehmung und Handlung auf“, stellt Prinz fest. Diese Fragen könne aber vermutlich eher eine neue Forschergeneration beantworten, so der 70-jährige Forscher. Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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