Landeshauptstadt: Von Fahrrad bis Jugendstilzaun
Zu Besuch in der Metallwerkstatt der Diakonie
Stand:
Zu Besuch in der Metallwerkstatt der Diakonie Von Günter Schenke „Absolut Freude“ bereitet Michael Haenel die Arbeit an der Drehbank. Bei diesem spontanen Bekenntnis müssten eigentlich seine Augen leuchten. Doch das tun sie nicht, denn Haenel ist von Geburt an blind. Der 27-Jährige steht an einer Maschine der Metallwerkstatt in der Tornowstraße auf Hermannswerder und spannt mit flinken Händen Rundstäbe aus Aluminium in die Halterung. Daraus entstehen auf den Millimeter genau zugeschnittene Teile für Krankenhausmöbel. „Erst mal Übung“, antwortet er auf die Frage, wie er es als Blinder geschafft habe, an einer Drehbank zu arbeiten. Der junge Mann hat sich bereits einen weiteren beruflichen Schritt vorgenommen: die Arbeit an einer Computer-gesteuerten Maschine. „Ich habe die Steuerbefehle schon auswendig gelernt“, berichtet er. Über die Braille-Zeile, eine spezielle Rechner-Tastatur für Blinde, könne er zum Beispiel „S wie Vorschub“ befehlen und die Maschine steuern. Die Metallwerkstatt mit ihren 22 behinderten Menschen gehört zur Diakonie-Werkstätten Potsdam gGmbH, ein Unternehmen mit einer Belegschaft von 289 behinderten Personen und 32 Vollzeitkräften zu ihrer Betreuung. Geschäftsführer Rüdiger van Leeuwen spricht volkstümlich von der „Fahrradwerkstatt“, wenn er die Metallwerkstatt meint. Beim Betreten des Werkstatt-Flachbaus wird die Bezeichnung klar. Etwa fünfzig reparierte und auf Hochglanz gebrachte Räder stehen im Freien. Und im Inneren herrscht ameisenähnliches Treiben. Torsten Ludwig im Rollstuhl sowie Alexander Pagels und Siegmund Seiffert haben sich als eine Art Brigade um ein aufgebocktes Fahrrad geschart und sind mit dem Lenkereinbau beschäftigt. Pagels ist eine so genannte „MAE-Kraft“, also Ein-Euro-Jobber für zwanzig Stunden pro Monat. MAE heißt „Mehraufwandsentschädigung“. Siebzehn MAE-Kräfte beschäftigen die Diakonie-Werkstätten insgesamt. Geschäftsführer Rüdiger van Leeuwen bezeichnet diese Beschäftigungsverhältnisse als seine „staatsbürgerliche Pflicht“. In einer anderen Ecke der Werkstatt ist Christian Bushardt mit dem „Einspeichen“ eines Vorderrades beschäftigt. Angeleitet von seinem Betreuer Jens Müller erfordert die Arbeit sichtlich Konzentration, denn das richtige Einbauen und Festziehen der Speichen ist nicht einfach, schließlich muss das Rad am Ende rund laufen und darf nicht „eiern“. Zehn Euro kostet das Einspeichen und fünf das Zentrieren für den Kunden, vermerkt das „Superangebot“ der Fahrradwerkstatt auf einem Flyer. „Machen Sie nur nicht so viel Reklame für uns“, bittet Jens Müller, denn zurzeit sei er mit Aufträgen mehr als reichlich eingedeckt. Eine Woche muss der Kunde warten, ehe er sein repariertes Rad wieder in Empfang nehmen kann. Die „absolute Freude“, die der blinde Michael Haenel bei seiner Arbeit empfindet, ist den meisten seiner Kollegen ebenfalls anzumerken. Für Andreas Paetsch, Leiter der Metallwerkstatt, ist das Kriterium vor allem die Qualität. „Wir haben selten Reklamationen“, berichtet er. Und: „Wir sind konkurrenzfähig“. Die Anforderungen der Auftraggeber seien hoch, zum Beispiel dürften die Neuteile für Krankenhausmöbel nur geringe Toleranzen aufweisen und müssten völlig kratzerfrei sein. Von der großen Handwerkskunst, über welche die behinderten Menschen verfügen, zeugt ein fertiges Produkt, das zurzeit in einer Garage auf dem Werkstattgelände darauf wartet, an den Auftraggeber geliefert zu werden. Es handelt sich um einen eisernen Zaun für ein großes Wohnhaus an der Ecke Feuerbach- / Lennéstraße in der Brandenburger Vorstadt. „Rekonstruktion Jugendstilzaun durch Diakonie-Werkstätten Potsdam gGmbH“ ist dort zu lesen. In diesem Jahr will der Eigentümer, die Gemeinnützige Wohn- und Baugesellschaft (Gewoba) das Prachtstück vor dem großen Vorgarten aufstellen lassen. Fünf Monate lang hatten sechs Leute an dem etwa hundert Meter langem Zaun zu arbeiten. „Es ist eine Eins-zu-eins-Kopie“, berichtet Paetsch. Nur drei Teile davon habe er sorgfältig aufarbeiten lassen. Das sei eine Auflage des Denkmalschutzes gewesen. Das Besondere: Jede der zahllosen Nieten ist im kalten Zustand von Hand geschlagen. Maschinen gebe es hierfür nicht mehr, sagt Paetsch, der Handwerksmeister für Maschinenbau- und Zweiradmechanik ist. Beim Kampf um den Zaun-Auftrag hatten sich die Diakonie-Werkstätten mit einem Angebot in Höhe von 16 000 Euro gegen andere Bewerber durchgesetzt. Rüdiger van Leeuwen äußert sich anerkennend über die Arbeit seiner „Fahrradwerkstatt“. Bereits zur Halbzeit des Jahres hätte diese den für 2005 geplanten Umsatz erwirtschaftet. „Die Werkstatt ist ein Zukunftsbereich“, so der Geschäftsführer. Daher müsse hier weiter investiert werden. Geplant sei, auf dem Gelände einen Container mit 180 Quadratmetern Arbeitsfläche aufzustellen und in weiterer Zukunft einen Neubau in der Nähe des Hauptgebäudes der Diakonie-Werkstätten zu errichten. „Personell wollen wir ebenfalls etwas aufstocken“, informiert van Leeuwen. Und Andreas Paetsch berichtet, dass er händeringend einen Zweiradmechaniker als weiteren Betreuer suche. Auf die bereits erfolgt Ausschreibung habe es zwar viele Bewerber gegeben, aber darunter sei keiner gewesen, welcher die notwendige Fachkenntnis hatte. Wie van Leeuwen berichtet, müsse die Einstellung in einer Behindertenwerkstatt zunächst von der Agentur für Arbeit geprüft und befürwortet werden. Die Tätigkeit hier gilt als Eingliederungshilfe. „Eigentlich besteht das Ziel darin, die Menschen für den ersten Arbeitsmarkt fit zu machen“, sagt Andreas Paetsch. Doch das gelinge sehr selten. Und van Leeuwen, der seit 1992 die Diakonie-Werkstätten leitet, weiß: „Die Menschen, die hier arbeiten, brauchen den geschützten Raum.“
Günter Schenke
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: