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Homepage: Von Ohnmacht zur Allmacht Enzensberger sprach

auf der Opfer-Tagung

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Es ist schon recht verwunderlich, dass kein einziger Student anwesend ist, wenn Hans Magnus Enzensberger seine neuesten Thesen in Potsdam zur Diskussion stellt. Schließlich betonte der Spiegel unlängst, dass es „kaum einen wirkungsmächtigeren und beweglicheren Schriftsteller in der Nachkriegsgeschichte“ gebe als Enzensberger. Im Einstein Forum war neben ihm am vergangenen Wochenende viel andere wissenschaftliche Prominenz versammelt. Aus der ganzen Welt waren sie gekommen, Philosophen, Germanisten, Theologen, Soziologen, Schriftsteller und Künstler, um über die Verlierer und Opfer der globalisierten Welt zu debattieren. Unter den Deutschen waren so bekannte Namen wie Alaida Assmann, Professorin für Anglistik, und Jan Philipp Reemstma, Professor der Germanistik.

Bei der Abschlussdiskussion der Tagung stellte Hans Magnus Enzensberger seine Thesen über den „Radikalen Verlierer“ vor. Diese waren im November 2005 im Spiegel abgedruckt worden und prägen seitdem den Diskurs über die Motive von Selbstmordattentätern maßgeblich mit. Enzensberger unterstreicht sein dürftiges Englisch mit großen Gesten. Er lacht viel während er um Worte ringt und spricht die Anwesenden gerade heraus an. „Es ist nur ein Versuch eine Idee zu entwickeln, um zu sehen was passiert“, betont er: „Es ist ein Essay!“ Womit Enzensberger den Rahmen seiner Überlegungen absteckt hatte. Diese sollten den Charakter der Vorläufigkeit und Streitbarkeit auf keinen Fall einbüßen.

Ihm sei daran gelegen gewesen, auch bei uns nach analogen Phänomenen zu den Selbstmordattentätern zu suchen. Ein Mann, der seine Familie erschießt. Die dramatischen Entwicklungen zu Zeiten der Weimarer Republik. Hier wie dort blieben die Motive im Dunklen. An dieser Stelle beginnt Enzensberger mit seinen theoretischen Überlegungen, er versucht Zusammenhänge herauszuarbeiten.

In der Kompensation von aufgestauten Energien, gebe es das Element der Projektion. Enzensberger wird deutlicher: „Diese unterschiedlichen Täter haben eines gemeinsam: Sie gucken nicht nach dem eigenen Teil, den sie zum aktuellen Zustand beitragen!“ In dieser Einsamkeit und der Verlorenheit in den Zweifeln über den eigenen Wert, greifen diese Menschen nach Angeboten wie dem Islamismus oder auch dem Nationalsozialismus. Sie verlangen danach, ihr Minderwertigkeitsgefühl in ein Allmachtsgefühl zu wenden.

Alaida Assmann, nachdem sie das Essay als brillant gewürdigt hatte, kritisierte Enzensbergers Thesen scharf. Es handele sich hier um eine neue Form des Orientalismus, also der eurozentrischen Sicht auf den arabischen Raum, wobei dieser nur als negative Folie wahrgenommen wird. Zwar öffnete Enzensberger mit seiner Debatte Möglichkeiten für den Diskurs, verschließe aber auch zu viele. Abschließend mahnte sie den Schriftsteller, dass „durch das Beschreiben einer Situation, wir sie ja schon konstruieren.“

Auf die Frage, welche populären Standpunkte Enzensberger mit seinen Thesen denn in Frage stellen wolle, antwortete der Autor: „Ich habe gar keine Zielgruppe. Ich schreibe erstmal für mich selbst.“ Ob die Potsdamer Studenten das schon geahnt hatten?

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