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Von Günter Schenke: Von Rolli-Rampe bis Wohnungslosigkeit

„Gute Nachbarschaft“ beim 3. Toleranzfest, das zum 325. Jahrestag des Edikts von Potsdam stattfand

Stand:

Schlaatz – Jan Krech vermisst die Rampe am Haupteingang des Klinikums. Der junge Mann ist auf den Rollstuhl angewiesen und möchte wie andere Bürger auf direktem Wege das städtische Krankenhaus betreten können. Krech, Vorsitzender des Potsdamer Behindertenverbandes, betreute am Samstag gemeinsam mit Vorstandskollegin Selda Güttekin einen Info-Stand auf dem 3. Potsdamer Fest für Toleranz. Über dreihundert Akteure und Besucher waren dazu im Verlaufe des Nachmittags auf den „Marktplatz“ am Schlaatz gekommen.

Krech berichtete, dass die früher vorhandene Rampe beim Umbau des Klinikums weichen musste. Sie habe nicht mehr den Anforderungen entsprochen. Er habe die zuständige Beigeordnete Elona Müller (parteilos) auf den Mangel angesprochen. Sie habe daraufhin mitgeteilt, dass alles in Ordnung sei. Der behindertengerechte Zugang sei unter anderem über den Fahrstuhl möglich. Krech sieht darin keinen adäquaten Ersatz, zumal der Aufzug räumlich nicht allen Bedingungen gerecht werde. Allerdings hatten jüngst im Hauptausschuss sowohl Potsdams Behindertenbeauftragter Karsten Häschel als auch Hans-Peter Schmarje, Vorsitzender des Behindertenbeirats, versichert, der Verzicht auf den Bau einer 40 Meter langen Rampe zugunsten zweier Fahrstühle erfolge einvernehmlich.

Das Toleranzfest mit Fußball- und Kinder-Programm, Info-Ständen und afrikanischem Trommelkonzert war diesmal unter dem Motto „Gute Nachbarschaft“ inhaltlich breiter angelegt. „Es geht nicht nur um Integration, sondern auch um behinderte Menschen und die Bedrohung durch Wohnungslosigkeit“, verkündete Gregor Voehse zu Beginn. Der Sozialarbeiter gehört zum sechsköpfigen Streetworker-Team des Diakonischen Werkes, das sich um sozial gefährdete Jugendliche kümmert. „Unsere Hauptklientel sind junge Menschen, die Probleme mit Drogen und Unterkunft haben.“ Voehse, der zeitweise für Die Andere Stadtverordneter war, berichtete, dass es in Potsdam eine „verdeckte Obdachlosigkeit“ Jugendlicher gebe. Mehr als hundert junge Leute, die bei den Eltern nur formell gemeldet seien, wären davon betroffen. Der Sozialbericht der Stadt, der zur Einsichtnahme auslag, verzeichnet einen Anstieg der Wohnungskündigungen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, 2009 waren 172 Fälle statistisch erfasst.

Probleme von Jugendlichen, Armut, Toleranz und Integration waren Themen in einem „Diskussionszelt“, in dem unter anderem Kurzfilme der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) aus dem Jahr 2008 liefen. Die angekündigten Diskussionen litten erheblich unter den alles übertönenden Trommeln im Nachbarzelt. Zudem war die Beteiligung mäßig.

Laut Ankündigung der Veranstalter sollte das 3. Potsdamer Fest der Toleranz an den 325. Jahrestag des „Edikts von Potsdam“ erinnern. Am 29. Oktober 1685 verkündete Kurfürst Friedrich Wilhelm sehr weit gehende Privilegien für die verfolgten „evangelisch-reformierten Glaubensgenossen französischer Nation“, um diese im Land zwischen Magdeburg und Königsberg sesshaft zu machen. Norbert Blumert vom Innenstadtverein „Agaphi“ verteilte kostenlos das Faksimile des Original-Edikts. Kilian Kindelberger von der Berlin-Brandenburgischen Auslandsgesellschaft erzählte im Gespräch mit der Integrationsbeauftragten Magdolna Grasnick, dass es Einwanderer heute oft schwerer haben. Eine Krankenschwester aus der Ukraine brauche für eine Berufszulassung in Deutschland den Nachweis einer zwölfmonatigen Tätigkeit im Land. Aber ohne Zulassung erhalte sie keine Arbeit – ein Teufelskreis.

Ursula Loebel von der Geschäftsstelle der Sicherheitskonferenz und das Organisationsteam mit dem Verein „Neues Potsdamer Toleranzedikt“ äußerten sich am Schluss der vierstündigen Veranstaltung zufrieden mit Verlauf und Beteiligung. Wie Loebel sagte, werde die Tradition des Toleranzfestes in den kommenden Jahren fortgeführt. Es solle jeweils in einem anderen Stadtteil stattfinden.

Günter Schenke

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