Landeshauptstadt: Vorteil für Rückenschwimmer
Nach der Schließung des Bades am Brauhausberg müsste in der Schwimmhalle „Am Stern“ großer Andrang herrschen, was aber an einem gewöhnlichen Dienstagvormittag nicht unbedingt der Fall ist. Ein Badereport.
Stand:
An der Stelle am Eingang zur Schwimmhalle „Am Stern“, an der sich die Säule und die Treppe berühren, fehlen großflächig die Fliesen. Das Office ist leer, die junge Frau am Tresen verkauft lächelnd zwei Stunden Badezeit und gibt einen Chip heraus, der mittels eines blauen Bandes wie eine Uhr ans Handgelenk zu schnallen ist. Mit ihm lässt sich die Zugangsschranke und der Umkleideschrank öffnen. Die Schranke reagiert prompt, doch der erste Versuch an der Schranktür scheitert. Der Chip muss an den Türknopf gehalten werden. Der heißt laut Beschreibung „Transponder“ und leuchtet grün auf und lässt sich nach rechts drehen. Doch weder das eine noch das andere ist der Fall. Ein Fluch über den eigenen technischen Idiotismus wird knapp unterdrückt, denn ein zweiter Badegast betritt die Umkleidekabine. Vorher war niemand weiter da. Dabei müsste es an diesem Dienstagvormittag nur so von Badegästen wimmeln, seitdem die Schwimmhalle am Brauhausberg geschlossen ist, weil die Schrauben, die das Dach halten, verrostet sind.
Der zweite Badegast ist ein alter Mann mit grauen Haaren. Er hilft gern und stellt fest, dass der Schrank kaputt ist und der daneben aber tadellos funktioniert. Es blinkt grün und der Knopf dreht sich mühelos nach rechts.
Das Becken ist geteilt, drei Bahnen stehen für den Schwimmunterricht bereit, zwei für einfache Gäste. An anderen Tagen ist es andersherum. Eine digitale Anzeige informiert, dass die Temperatur in der Halle 28 Grad beträgt. Tropische Pflanzen zieren die große Glasfront, zumeist sind es Washingtonia-Palmen, auch ein Elefantenfuß ist dabei. Ältere Damen ziehen ihre Bahnen. Das Wasser ist leider kälter als 28 Grad.
Ein Typ der Sorte Torpedo mit breiter Brust, kahlrasiertem Kopf und Schwimmbrille durchpflügt eine für die Schüler freigehaltene Bahn. Als die Kinder einer Behindertenschule in die Halle kommen, weicht er in den öffentlichen Bereich aus. Zwei der Frauen stört es wenig, denn sie schwimmen am Beckenrand auf der Stelle und sprechen miteinander, „über die Versicherung, die buchen alles ab“. Später führen sie ein Gespräch zum Thema „alles wird teurer“. Eine Bahn danach lästern sie über eine nicht anwesende dritte Person. Um wen es sich handelt, lässt sich nicht herausfinden. Man lauscht ja nicht gern.
Ein junges Pärchen beim ersten oder zweiten Date spaziert gelangweilt außerhalb des Beckens die Front ab. Sie wissen nicht, was sie tun sollen. Schwimmen ist aber vorerst keine gute Idee. Sie unterhalten sich. Hin und wieder versucht der frisch Verliebte, sie zu kitzelnd und sie lacht betont auf. Sie überlegen, ob sie sich für einen Euro Schwimmflossen oder einen Ball ausleihen sollten, stellen aber fest, dass das auch nicht das ist, was sie tun wollen. Irgendwann springen sie dann doch rein. Noch das Kielwasser der jungen Frau riecht stark nach Parfüm, vielleicht ist es „L“air du Temps“.
Die freien Bahnen füllen sich. Hin und wieder müssen Ausweichmanöver geschwommen werden. Der clevere Badegast verfällt jetzt ins Rückenschwimmen. Mit dem harten Schädel voran ins Ungewisse, der Brustschwimmer, der seine Augen vorn und nicht an der Decke hat, sieht, was auf ihn zukommt und muss Platz machen. Die größere Orientierung verschafft also nicht immer den größeren Vorteil. Keine Ahnung, keine Vorsicht.
Ob es noch klappt, eine komplette Bahn durchzutauchen? Nach einem tiefen Atemzug also durchstoßen bis zum Grund, die Arme kräftig durchziehen, gleiten lassen. Langsam schweben die schwarzen Kacheln, die die Grundlinie markieren, unter einem vorbei. Arme wieder nach vorn, durchziehen, gleiten lassen. Keine Hektik aufkommen lassen, ruhig bleiben, Sauerstoff sparen. Ein schwarzer Querbalken auf den Grundkacheln zeigt das Ende der Bahn an. Spritzend durchbricht der Kopf die Oberfläche, die Arme schlagen an. Geschafft! Eine ältere Dame sagt halbempört: „Vielen Dank!“
„Ja, Entschuldigung, was ist denn passiert?“ Sie zeigt auf einen Tropfen Wasser, der nun auf ihrer Hornbrille perlt.
In der Umkleidekabine unterhalten sich die Schüler der Behindertenschule. Studenten im Praktikum begleiten sie. Ein Junge ist traurig. Er erzählt von einer Begebenheit. „Die hat mich ausgelacht“, schimpft er. Der Student antwortet prompt: „Mann, die hat dich angelacht, weil du so ein geiles T-Shirt anhast.“ Der Schüler protestiert nicht. Wäre ja möglich, das es so war und wenn es so war, wäre es ja nicht übel.
Schwimmen macht hungrig. Vom Schaltertresen aus verkaufen die Mitarbeiter vom „Team Bäderlandschaft Potsdam GmbH“, wie es auf ihren T-Shirts steht, Bockwurst und löslichen Kaffee. Das könnte der Tiefpunkt des Tages werden, wenn nicht beides zusammen nur zwei Euro kosten würde. Stark aufgewertet wird der Imbiss durch die Tatsache, dass die Bockwurst knackfrisch ist und nicht wie anderswo seit Stunden im heißen Wasser dümpelt. Der Beweis: Die Frau vom Bäderteam kommt aus der Küche und fragt ihre Kollegin, wo der Topf zum Bockwurstkochen ist. Sie finden ihn und nach dem Servieren stellt sich heraus, dass die dazu gereichte Scheibe Toast sogar getoastet ist, nicht zu viel und nicht zu wenig. Was will man mehr?
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