Landeshauptstadt: Vorwurf: Golmer Ortsblatt verharmlost Nazi-Zeit
Stadt verbietet Veröffentlichung der NS-Chronik / Fraunhofer Institut sagt weitere Sponsorengelder ab
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Golm - Der Ortsbeirat Golm steht unter Beschuss. In seinem Ortsteilblatt „14476 Golm“ hat er eine Chronik über die NS-Feldmeisterschule in Golm veröffentlicht, die die Rolle des Reichsarbeitsdienstes verharmlose, so der Vorwurf aus der Stadt. Die Chronik sei „ inhaltlich und gestalterisch völlig inakzeptabel“. In der nationalsozialistischen Einrichtung am Kuhforter Damm waren „Führer“ für den Reichsarbeitsdienst ausgebildet worden, den jeder deutsche Mann damals vor dem Wehrdienst leisten musste.
Das Brisante: Im Impressum der Ortsteil-Zeitung steht Oberbürgermeister Jann Jakobs als Herausgeber. Auf seine Anweisung habe der Ortsbeirat Golm, der das Blatt redaktionell verantwortet, die kritisierten acht Seiten herausreißen müssen, ehe es wie üblich an die Potsdamer Stadtverordneten verteilt worden war. Auch aus der Internetpräsenz des Ortsteils musste die Chronik verschwinden. Da lag die Zeitung allerdings schon bei den Golmern im Briefkasten. Die Ausgabe war bereits im Juli erschienen, aber erst jetzt wurde der Vorfall bekannt.
„Es ist in höchstem Maße unprofessionell und politisch verwerflich, Strukturen und Ereignisse während der Nazi-Zeit in einer Art und Weise darzustellen, die auch mehr als 60 Jahre später noch von der damaligen Propaganda beeinflusst scheint“, so Jakobs: „Der Autor war mit dem Thema offensichtlich überfordert.“ Das hätte der Ortsbeirat als Redakteur der Zeitung merken müssen, kritisiert das Stadtoberhaupt. Ortsbürgermeister Ulf Mohr (parteilos) reagiert mit Unverständnis: „Die Feldmeisterschule ist Golmer Geschichte, wir Golmer haben ein Recht, sie zu erfahren“, erklärt Mohr. Zumal noch immer Gebäude der Schule existierten.
Ausgelöst hatte die Debatte ein Brief aus dem Golmer Fraunhofer Institut für Biomedizinische Technik, einem der Hauptsponsoren des Blatts: „Es ist nicht ohne Protest hinnehmbar, dass unter der Rubrik ,Historisches“ Golmer NS-Geschichte nahezu unkommentiert dargestellt wird“, schrieb Institutsleiter Prof. Günter R. Fuhr an Mohr und Jakobs. Das passe nicht zu der Weltoffenheit, die die Forschungseinrichtung anstrebe.
Aus diesem Grunde würde sein Institut „vorerst von weiteren finanziellen Unterstützungen Abstand nehmen“. Zudem dürfe die Zeitung nicht mehr im Institut ausgelegt werden, denn auf dem Campus Golm arbeiteten Wissenschaftler aus allen Kontinenten – „möglicherweise auch Kinder von Emigranten der NS-Zeit“. Dem haben sich nun weitere Potsdamer Institute und die Universität angeschlossen.
Zwar weist der Autor die Leser auf der ersten Seite der Chronik darauf hin, dass „keinesfalls die furchtbare Zeit des Nationalsozialismus verherrlicht werden soll“. Doch steht dieser Hinweis in einem Kranz aus stilisiertem Eichenlaub, darüber prangt die Wappenfahne des Reichsarbeitsdienstes. Auf Ablehnung stieß aber vor allem der über mehrere Seiten abgedruckte Zeitzeugenbericht von Oberfeldmeister Werner Sabatier, dem der Chronist die Worte voranstellt: „Werner Sabatier bemühte sich, die jungen Kameraden in die nationalsozialistische Weltanschauung einzuführen.“
Der Golmer Ortsbeirat fühlt sich indes zu Unrecht in die rechte Ecke gedrängt: „Wir sind nicht rechts“, so Mohr. Die Chronik sei „keine Verschönung“ der NS-Zeit, sondern eine angemessene Variante, sie darzustellen“. Der Brief dagegen diffamiere Golmer Familien, findet Mohrs Stellvertreter Thomas Heinzel von der CDU. In Fuhrs Schreiben heißt es: „Der Abdruck zahlreicher Privatfotos ist unverständlich, denn ... es ist ein Zeichen mangelnden Intellekts und schlechten Charakters, der Nazi-Ideologie verfallen gewesen zu sein“. Auch SPD-Ortsbeiratsmitglied Kathleen Riedel hält solche Reaktionen für „maßlos übertrieben“. Die Chronik sei als „Diskussionsgrundlage“ zu verstehen und sei auch so von den Golmern aufgenommen worden. Der Ortschronist habe seit anderthalb Jahren dafür recherchiert, seine Ergebnisse auch im Ortsbeirat immer wieder zur Diskussion gestellt, so Riedel.
Der Ortsbeirat will sich nun noch im September mit Fuhr zusammensetzen. Der Institutsleiter hat dem Treffen zugestimmt und hofft, dass das Blatt künftig „andere Strategien“ verfolgen werde.
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