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Warum der demografische Wandel eine Chance für den ländlichen Raum ist. Von Gabriela B. Christmann
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Das Jahr 2013 ist vom Bundesforschungsministerium zum Themenjahr „Die demografische Chance“ benannt worden. Die Frage, wie sich der Wandel gestalten lässt, steht dabei im Fokus. In den PNN stellen Wissenschaftler aus der Region ihre Arbeit dazu vor.
Seit über 40 Jahren ist der demografische Wandel gesellschaftliche Realität. Die wissenschaftlichen Analysen sind gemacht, die Folgen sind umfangreich thematisiert worden. Jahrzehntelang wurde von „Überalterung“ gesprochen wie von einer Diagnose, für die man ein effektives Medikament benötigt. Und für ländlich geprägte Räume hat man entvölkerte Landstriche und Dörfer vor Augen. Nun hat man erkannt, dass man sich auch über die Potenziale der demografischen Entwicklung verständigen sollte.
Die Entwicklung von Städten und ländlichen Regionen ist Thema einer Forschungsgruppe am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS). Die Arbeit zeigt, dass mit dem demografischen Wandel interessante Entwicklungen verbunden sein können. Gerade für den ländlichen Raum eröffnen sich Perspektiven: Mit der Zunahme des Anteils älterer Bewohner entsteht ein Potenzial für lokale Kultur und soziales Engagement. Beobachtungen zeigen, dass es kürzlich Pensionierte sind, die mit ihrem Wissen und der nötigen Zeit dörfliche Entwicklung prägen können. Diese Personen fühlen sich noch nicht alt, entwickeln neue Ideen für bestehende Probleme, gründen Kulturvereine, arbeiten ehrenamtlich als Fremdenführer und Ortsvorsteher oder erfüllen sich den Lebenstraum einer Pension auf dem Land. Dies ist ebenso Realität in Brandenburg wie scheinbar leergefegte Orte mit verfallenen Häusern.
Die entstehende „Leere“ wirkt auf bestimmte Menschen wie ein Magnet. „Raumpioniere“ sehen hier Potenziale, wollen daraus etwas machen. Nicht nur Künstler und Kreative schätzen diese Orte als Experimentierräume für ihre Ideen, nicht zuletzt weil Immobilien hier günstig sind. Einsamkeit und Stille sind in Verbindung mit landschaftlichen Reizen zudem für eine touristische Entwicklung von Bedeutung. Aber auch andere Entwicklungen sind möglich. Brachgefallene Agrarbetriebe und Hallen bieten Raum für innovative Industrie- und Dienstleistungsstätten. Alte Scheunen können zu Produktionshallen umgerüstet werden. Mit frischen Ideen lassen sich also brachliegende Potenziale durchaus nutzen.
Beide Beispiele haben aber auch eine Kehrseite: Eine funktionierende Infrastruktur bleibt die Grundvoraussetzung. Reisende suchen zwar die Natur, wünschen sich aber auch Konsum, Wellness oder Kultur. Unternehmen suchen günstige Produktionshallen, benötigen aber LKW-taugliche Straßen. Investitionen in diesem Bereich sind also unumgänglich, die Sanierung einer Kirche oder den Ausbau einer Landstraße können Gemeinden und Bewohner nicht alleine stemmen. Hier bedarf es finanzieller Unterstützung. Engagierte Bewohner benötigen zudem Know-how, um in ihrem institutionellen Kontext agieren zu können. So braucht ein motivierter Ortsvorsteher Hilfe, um mit seinen Ideen bei der Kreisverwaltung überzeugen zu können. Inzwischen gibt es sogenannte „soziale Unternehmer“, die eine solche kleinteilige Beratungsarbeit leisten und sogar Mikrokredite organisieren.
Es ist also nicht übertrieben, von einer demografischen Chance für den ländlichen Raum zu sprechen. Das Bild vom zwangsläufig flächendeckenden Verfall ist ohne Zweifel falsch. Dennoch muss klar sein, dass es trotz positiver Entwicklungen immer noch Verlierer geben wird. Nicht jedes Dorf hat das Glück einer touristisch reizvollen Lage oder einer engagierten Bewohnerschaft. Eine differenzierte Betrachtungsweise von Problemen, Herausforderungen, aber auch von Erfolgsgeschichten ist daher eine große Aufgabe für die Politik und die Medien.
Gabriela B. Christmann leitet am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner die Forschungsabteilung „Kommunikations- und Wissensdynamiken im Raum“. Sie untersucht Raumpioniere, soziale Unternehmer und zivilgesellschaftliches Engagement.
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