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STATIONEN: Wärmender Ausklang am Samowar

Vom Marmorpalais durch Villenlandschaft am Jungfernsee und Augusta-Stift in die russische Teestube

Stand:

Das Kaiserin-Augusta-Stift Am Neuen Garten 29-32 wird zur Wohnadresse. In dem 1902 durch den Architekten Lothar Krüger im Stil eines (neo)romanischen Burghofes errichteten Komplex werden ab Frühjahr 2006 44 Eigentumswohnungen ausgebaut. Beim vierten und letzten PNN-Stadtspaziergang war das Stift eine der Stationen für die etwa 50 Leser. Als Vertreter des Bauherren, der Prinz von Preußen Grundbesitz AG, führte Ingo Bethke die Besucher durchs Haus. Er zeigte die bereits fertig gestellte Musterwohnung und erläuterte das Konzept für die Repräsentativräume, die in gewissem Umfang öffentlich zugänglich gemacht werden sollen. Dazu gehört die ehemalige Staatskapelle, in der Erinnerungsstücke der Adels-, Offiziers-, Pfarrer- und Beamtenrechtler gezeigt werden, für deren Erziehung Kaiserin Augusta das Stift begründet hatte. Hier hielten die knapp 90 „Mädchen in Uniform“, wie sie im 1931 auch verfilmten Buch der ehemaligen Schülerin Christa Winseln genannt werden, ihre Morgenandacht. Die Kapelle diente nach 1945 im „verbotenen Städtchen“ aber auch dem sowjetischen Geheimdienst KGB als Gerichtssaal. Hier verurteilte das Militärtribunal Hunderte politische Häftlinge zur Todesstrafe oder zu langjähriger Haft im sibirischen Straflager Workuta. Auch daran soll in der Ausstellung erinnert werden.

Begonnen hatte der letzte PNN-Stadtspaziergang dieses Jahres im Neuen Garten, wo das Marmorpalais erstes Ziel war. Dabei erhielten die Besucher auch die Touristen sonst verschlossene Möglichkeit, den Dachumgang mit der Laterne (Kuppel) zu besteigen. Von hier bietet sich ein unvergleichlicher Blick auf die am anderen Ufer des Heiligen Sees liegenden Villen, und die Frage, wo von Jauch bis Joop welcher Promi wohnt, blieb natürlich nicht aus.

Durch die Palaisräume wurden die Stadtspaziergänger von Sonja Purps geführt. Sie würdigte die seit 1988 laufende Restaurierung, durch die das nach 1945 als sowjetisches Offizierskasino und NVA-Armeemuseum zweckentfremdende Schloss Friedrich Wilhelms II. innen komplett wiederhergestellt wurde. Im Nordflügel konnte die Schlossführerin nur den Kloebersaal öffnen, in den anderen Räumen wird für die nächste Saison eine Ausstellung zur Nutzungsgeschichte des Palais vorbereitet, in dem nach Friedrich Wilhelm II. zeitweise der spätere Kaiser Wilhelm II. und der letzte deutsche Kronprinz Wilhelm lebten.

Wilhelm und Prinzessin Cecilie warteten hier auf die Fertigstellung ihres Wohnsitzes Cecilienhof. Auch diesem letzten Schlossbau der Hohenzollern statteten die PNN-Spaziergänger einen Kurzbesuch ab, aber nicht dem Museum, sondern dem seit 1960 als Hotel genutzten Teil. Anders als zu DDR-Zeiten wird dem Gast heute vom Betreiber, der Relexa-Kette, wieder mitgeteilt, dass er in Zimmern nächtigt, in denen einst die kronprinzlichen Kinder wohnten.

An der vor zwei Jahren wiedereröffneten Ausflugsgaststätte Meierei nahm Helga Renner den Staffelstab in die Hand. Die Stadtführerin kennt die im einstigen DDR-Grenzgebiet verfallenen mondänen Bauten, die jetzt nach und nach saniert werden, und das Schicksal ihrer Eigentümer bis ins Detail. Selbstverständlich wusste sie viel über die Gutmann-Villa zu berichten, für die sich nach dem Kauf durch die Schauspielerin Nadja Uhl und einem Geschäftspartner endlich die Chance der Rettung öffnet – ebenso über die in den 80er Jahren abgerissene Villa Jacobs, dessen Wiederaufbau vom Architektenehepaar Ludes betrieben wird. Auch am von Uwe Fenner sanierten und umgebauten Ulmenhof/Villa Bertini machte sie Halt.

Über diese bekannten Beispiele hinaus kann Helga Renner aber auch Geschichten beispielsweise über die Bertinistraße 23 erzählen. Seit 1897 stand hier ein Sommerhaus im Norwegerstil. 1919 kaufte der vermögende Bankier Louis Hagen das Grundstück und ließ dort 1927/28 durch das Architekturbüro Block/Ebert das heutige Gebäude errichten, als eines der in Potsdam seltenen Beispiele des „Neuen Bauens“. Es spiegelte mit großzügigen Wohnräumen für die siebenköpfige Familie, einer Turnhalle, begrünter Dachterrasse, Teepavillon und Bootsschuppen die Lebenswelt des Großbürgertums. Als Jude musste Hagen in der Nazizeit emigrieren. In der DDR-Ära geriet das Grundstück ins Grenzgebiet. Nach Rückübertragung und erstem Sanierungsversuch steht die Villa jetzt zum Verkauf. Nicht all ihr Wissen konnte Helga Renner an den Mann bringen, denn die Zeit drängte. Die Spaziergängerschar hatte sich inzwischen eilenden Schrittes zur Lepsius-Villa am Pfingstberghang aufgemacht, um Generalsuperintendent Hans-Ulrich Schulz nicht warten zu lassen. Er ist Vorsitzender des Fördervereins, der im einstigen Wohnhaus von Johann Lepsius (1858-1926) eine Gedenk- und Forschungsstätte einrichtet, um den weitgehend vergessenen Kampf des Pfarrers gegen den 1915/16 an den Armeniern verübten Völkermord zu würdigen. Mit Freude zeigte Schulz das äußerlich fertiggestellte Gebäude. „Binnen Jahresfrist“ wolle der Verein nun für die Inneneinrichtung sorgen, die neben dem historischen Arbeitszimmer von Lepsius als Gedenkstätte eine Ausstellung, einen Konferenzraum, eine Bibliothek und eine Kopie des Lepsius-Archivs der Universität Halle-Wittenberg umfassen soll.

Endpunkt des Spazierganges war die Russische Teestube in der Kolonie Alexandrowka. Wirt Thomas Hein bot den durchfrorenen Ankömmlingen wärmenden Tee aus dem Samowar und Piroschki mit saurer Sahne an. Aufgewärmt und gut gestimmt verabschiedeten sich die Wanderer von PNN-Lokalchefin Sabine Schicketanz – jedesmal mit der Frage, ob die Zeitung die aus je vier Radtouren, Kanufahrten, Wanderungen und Stadtspaziergängen bestehende attraktive Reihe 2006 in ähnlicher Form fortsetzt.

Ausnahmsweise bis auf die Dachplattform mit der Laterne durften die PNN-Wanderer dem Marmorpalais steigen und die Aussicht genießen.

In der Bertinistraße erfuhren sie, dass einige der bis zu 50 000 Quadratmeter großen Villengrundstücke am Jungfernsee geteilt werden, um den Bau weiterer Nobelhäuser zu ermöglichen. Die Straße bleibt aber weiter für den Verkehr geöffnet.

Von außen bietet die Villa, in der bis 1926 der Humanist Johann Lepsius wohnte, schon wieder ein gepflegtes Bild. Nun beginnt der Förderverein mit der Inneneinrichtung.

Fast am Ende des Stadtspaziergangs stand das Kaiserin-Augusta-Stift. In der einstigen Internatsschule für die „Mädchen in Uniform“ werden ab 2006 44 Eigentumswohnungen ausgebaut. (eh)

Erhart Hohenstein

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