Homepage: Wärmer als erwartet
PIK-Forscher: Ausmaß des Treibhauseffektes wurde bisher unterschätzt
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Victor Brovkin stammt aus dem sibirischen Jakutsk, und man möchte meinen, dass so jemand gegen ein paar Grad mehr auf dem Thermometer nichts einzuwenden hat. Schließlich sind dort im Winter Minus 40 Grad keine Seltenheit. Doch der Mathematiker bewertet steigende Temperaturen mit dem kühlen Kopf des Wissenschaftlers: Er sieht sie eher als Anlass zur Sorge. Victor Brovkin forscht am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) über Kohlendioxidkreisläufe und Erderwärmung. Seine jüngste Publikation legt nahe, dass Prognosen zur Erderwärmung nach oben korrigiert werden müssen.
Dass Kohlendioxid (CO2) den Treibhauseffekt mitverantwortet, ist bekannt: Erhöht sich die Konzentration dieses Gases in der Atmosphäre, absorbiert es Wärme, die sonst von der Erde ins All abgestrahlt würde – steigende Temperaturen sind die Folge.
Einen bisher kaum erforschten Nebeneffekt dieses Prozesses haben nun Brovkin und zwei weitere Klimaforscher erhellt: „Üblicherweise wurden bisher die Auswirkungen von CO2 in der Atmosphäre auf die Erdtemperatur untersucht, nicht aber die Auswirkungen der Erdtemperatur auf die Menge an CO2 in der Atmosphäre“, so Brovkin.
Um dies zu ändern, wertete das Forscherteam Temperaturdaten aus, die sie aus Eisbohrkernen und Jahresringen von Bäumen über die Zeit zwischen 1550 und 1850 erhielten. Diese 300 Jahre sind auch als „kleine Eiszeit“ bekannt und besaßen sehr kalte und lange Winter. Was die Wissenschaftler herausfanden: Auch die CO2-Werte fielen in die Zeit stark ab. Den Zusammenhang zwischen CO2-Abnahme und niedrigen Temperaturen nutzten die Wissenschaftler, um in einer Modellstudie den Umkehrschluss, nämlich zukünftige Effekte einer erhöhten CO2-Konzentration auf die Erderwärmung zu berechnen.
Das Ergebnis ist eine Art Teufelskreis: Mehr CO2 in der Luft sorgt für höhere Temperaturen. Durch höhere Temperaturen aber erwärmen sich die Meere und können weniger CO2 speichern. Sie geben daher zusätzliches CO2 ab, was wiederum für noch höhere Temperaturen sorgt.
Der so errechnete Temperaturanstieg lag durch die bisher nichtbeachtete Zusatzerwärmung zwischen 15 und 78 Prozent über dem, der 2001 im UN-Klimabericht prognostiziert wurde. Was bedeutet, dass bis Ende des Jahrhunderts die Temperatur weltweit statt um angenommene maximale 5,8 Grad um ein paar weitere Grad klettern könnte.
Doch Victor Brovkin liegt Panikmache fern: „Wir reden hier nicht über eine akut drohende Klimakatastrophe, sondern über eine Langzeitsorge.“ Ihre Studie zeige nur eine Möglichkeit auf und sei keine eindeutige Vorhersage. Außerdem sei das Problem erkannt, langsam würde das Bewusstsein über den Treibhauseffekt weltweit wachsen. „Und es wird an technologischen Lösungen gearbeitet, auch hier im PIK“, sagt Brovkin. In Hinblick auf die CO2-Emissionen müsse man sich aber eine Grenze setzen und überlegen: „Was müssen wir tun, um diese nicht zu überschreiten?“
Eine Patentlösung hat auch Brovkin nicht. Um ein Ansteigen der Temperatur zu verhindern, müsste die weltweite jährliche Kohlenstoff-Emission von acht auf zwei Gigatonnen reduziert werden – auf soviel, wie die Weltmeere jährlich aufnehmen können. „Das ist ziemlich unrealistisch“, gibt er zu. Brovkin sieht zwar Europa vorn in punkto Klimaschutz, auch die Autoindustrie spränge allmählich auf umweltfreundliche Techniken um; erneuerbare Energien gewönnen an Attraktivität. Doch all dies reiche nicht aus, um den Klimawandel aufzuhalten.
Immerhin: Ende Mai besuchte der US-Klimaforscher Guy Brasseur das PIK. Brasseur arbeitet für die UN mit an der Neufassung des Klimaberichts, die 2007 erscheinen soll; die Ergebnisse aus Potsdam habe er „interessant“ gefunden. Es bestehe daher die Aussicht, dass die Daten noch mit in den Bericht einfließen. Das würde zwar am Treibhauseffekt nichts ändern, wäre aber ein weiterer Schritt zu einer umfassenden Analyse des drängenden Problems.Matthias Oden
Matthias Oden
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