Homepage: Warum erinnern?
Der renommierte Historiker und Essayist Christian Meier hinterfragte im Einstein Forum die Bedeutung der Erinnerungskultur
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Das Kriegsbeil begraben. Diese friedvolle Metapher, die eigentlich ein Ritual bezeichnet, mit dem gewalttätige Auseinandersetzungen beendet werden sollen, hat sich in unserer Alltagssprache etabliert. Wer sich nicht mehr schlagen will, greift zu anderen Strategien und entsinnt sich im besten Fall der Möglichkeit des Miteinanders statt des Gegeneinanders.
Für Christian Meier spricht diese Metapher von der Kunst des absichtsvollen Vergessens. Im vollbesetzten Potsdamer Einstein Forum sprach der lange schon emeritierte Professor und viel beachtete Essayist in der vergangenen Woche von dem „schwierigen Umgang mit der schlimmen Vergangenheit“. Die nicht gerade präzisen Wörter „schwierig“ und „schlimm“ deuteten bereits das Grundproblem der Argumentation an, die im Anschluss an den Vortrag ausführlich, wenn auch nicht ergiebig, diskutiert wurde.
Christian Meier betrachtet die Entwicklung der Erinnerungskultur mit dem langen Atem eines Althistorikers. Seine Analysen beginnen weit vor unserer Zeitrechnung und verweisen auf eine Praxis, die der in unseren Tagen geforderten und geförderten Vergangenheitsbewältigung diametral entgegenzustehen scheint: das Gebot zu vergessen. In einem durchaus rasanten Ritt durch die Menschheitsgeschichte präsentierte Meier Belege für Friedensverträge, die „ewiges Vergessen“ als Grundlage eines zukünftigen friedvollen Miteinanders festschreiben.
Dies gelte besonders in Ländern, die von Bürgerkrieg oder Revolutionen heimgesucht waren oder die Diktaturen zu überwinden hatten. Immer dann also, wenn Opfer und Täter nebeneinander und miteinander zu leben lernen mussten. Nach einer zeitlich bemessenen, möglichst kurzen Phase der nötigen juristischen Aufarbeitung, die eine Entschädigung der Opfer einschließen sollte, werde Vergessen verordnet, um Vergeltung zu vermeiden.
Ein solcher „Grabstein des Vergessens“ habe erst die Republik Frankreich nach der Revolution ermöglicht. Spanien habe sich nach der Franco-Diktatur 1977 einem „Pakt des Vergessens“ verschrieben, um die Demokratie aufbauen zu können. In Südafrika sind es die Wahrheitskommissionen, die zu Versöhnungskommissionen würden. Die Opfer werden als solche anerkannt, die Täter aber nicht verurteilt, mit dem Ziel, die Gesellschaft zu einen. Eine Methode, die sich auch in anderen Ländern bewährt habe.
Überraschend war allerdings Meiers Hinweis, dass der Judenvernichtung mit einer solchen Aufarbeitung nicht beizukommen sei. Sie sei der Sonderfall, der zu einer Wende in der Erinnerungskultur geführt habe. Seither gelte das Primat der Erinnerung, denn Auschwitz sei zu ungeheuerlich, um vergessen zu werden. Erinnerung sei das Einzige, was wir für die Toten tun könnten. Irritierend an den Ausführungen von Christian Meier war der stete Wechsel der Begriffsebenen. Die Fragen, wer erinnert?, an wen? wer ordnet warum Erinnerung oder Vergessen an?, müssten genau gestellt werden. Denn es macht einen Unterschied, ob Nachbarn ihre Blutfehde beenden und einen anderen Weg der Auseinandersetzung finden, ob innerhalb einer Gesellschaft verschiedene soziale Gruppen ein Gemeinwesen aufzubauen versuchen oder ob Staaten, die einander den Krieg erklärt hatten, ihre Territorialforderungen- und Kriegslasten aushandeln.
Amnesie und Amnestie sind nicht das Gleiche. Verzeihen und vergessen auch nicht. Zu fragen wäre nach der Funktion sowohl des Erinnerns wie des Vergessens. Wer, zu welchem Zweck das Leiden anderer oder das eigene wofür benutzt. Christian Meier hat diese Fragen weder aufgeworfen, noch beantwortet. Lene Zade
Lene Zade
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