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WIEDEMANN bildet: Warum hat niemand hingesehen?

Bildung ist Erlernen von Gelassenheit, so lautet eine mir sehr sympathische Definition, die Meister Eckhart (1260 -1328) zugeschrieben wird. Dennoch kann und will ich nicht gelassen über die skandalösen Ereignisse hinweggehen, die an deutschen Eliteschulen in den letzten Jahrzehnten passiert sind!

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Bildung ist Erlernen von Gelassenheit, so lautet eine mir sehr sympathische Definition, die Meister Eckhart (1260 -1328) zugeschrieben wird. Dennoch kann und will ich nicht gelassen über die skandalösen Ereignisse hinweggehen, die an deutschen Eliteschulen in den letzten Jahrzehnten passiert sind! Ich weiß, dass ich nicht die schwierigen Fragen nach Schuld und Verdrängung, nach Wegsehen und Nichtsehen klären kann. Ich kann vielleicht, wenn ich Glück habe und Sie als Leserin und Leser erreiche, für solche Themen aus Bildung und Medien sensibilisieren.

Bildung ist immer auch ein Prozess von Nähe und Distanz und die Probleme von allzu großer Nähe oder allzu großer Distanz zwischen den Bildungspartnerinnen und Bildungspartnern waren und sind immer wieder gern gesehene oder auch gelesene Themen in Film, Fernsehen und Literatur. Nun geht es hier aber nicht um Ausgedachtes, sondern um Fälle von erzwungener Nähe, nämlich um Missbrauch und immer häufiger auch um Fälle einer radikalen Distanz, nämlich von Amokläufen an Schulen.

Die Diskussionen um die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle wie auch die um die jeweiligen Amokläufe hinterlassen in mir viele Fragen, die ich mir als Hochschullehrer in Potsdam, Medienwissenschaftler und Pädagogischer Psychologe immer wieder zu beantworten versuche. Die für mich gegenwärtig wichtigste lautet: Haben wir/ich es verlernt oder noch nie gekonnt, Signale richtig zu deuten, die andere, Schülerinnen und Schüler, Studierende, Partnerinnen und Partner, Kolleginnen und Kollegen etc. aussenden? Führt der mediale Kampf um Aufmerksamkeit mit seinen grellen Bildern und Tönen dazu, dass wir die leisen Signale in Gesprächen und Gesichtern nicht mehr erleben können oder auch wollen?

Es gibt viele Kampagnen und Initiativen in Deutschland, die uns auffordern, hin- und nicht wegzusehen, wenn etwas passiert. Ich glaube, dass diese Forderung nicht mehr ausreicht, weil wir wieder Emotionen und die Auseinandersetzung damit lernen müssen. Emotionen lernen, wenn wir doch eigentlich mehr Mathematik und Informatik, mehr Naturwissenschaften und Medienkompetenz und natürlich auch mehr Sprachen brauchen?

Die Erziehung der Gefühle sehe ich natürlich nicht als ein weiteres Unterrichtsfach – keine Angst Herr Minister Rupprecht – das man notfalls abwählen kann und auch nicht als neue Kampagne. Ich meine vielmehr die Ermöglichung gesellschaftlicher Voraussetzungen für ein Gefühlsklima, in dem Jungen auch weinen können und nicht nur cool sein müssen, aber auch Mädchen nicht nur mit Gewalt ihre Interessen durchsetzen müssen. In diesem Sinne wünsche ich allen Potsdamerinnen und Potsdamern frohe Ostern.

Dieter Wiedemann schreibt an dieser Stelle künftig regelmäßig für die PNN. Unser Autor ist seit zehn Jahren Präsident der Hochschule für Film und Fernsehen Babelsberg. Er hat zahlreiche Publikationen zu Film und Fernsehen sowie zur Aufarbeitung und Wertung des DEFA-Filmerbes und des DDR-Kinderfernsehens verfasst.

Dieter Wiedemann

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