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Studieren auf Probe dürfen Dritt- und Viertklässler in der 6. Kinder-Universität in Golm. Hier können sie beim Blick durch einen Briefschlitz die Unendlichkeit entdecken, mit Einstein auf einem Lichtstrahl reiten und ihren Hörsinn testen.

© A. Klaer (1) und Universität

Von Antje Horn-Conrad: Warum, warum ist die Banane krumm?

Die 6. Kinder-Uni erklärt, wie die Sprache in unsere Köpfe kommt, warum Fledermäuse mit dem Kopf nach unten schlafen und Einstein sich vorstellte, auf einem Lichtstrahl zu reiten

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Manchmal genügt es, durch einen Briefschlitz zu linsen, um die Unendlichkeit zu entdecken. Mit solchen Weit-Sichten wirbt die Universität Potsdam auf dem Titelbild ihres Programmheftes zur diesjährigen Kinderuniversität.

Während die Studierenden noch in der Sonne liegen oder über ihren Hausarbeiten brüten, öffnet die Hochschule ihre Hörsäle wie schon in den vergangenen Jahren einen Vormittag lang für den akademischen Nachwuchs der nahen Zukunft. Rund 2200 Kinder dritter und vierter Klassen aus Potsdam und dem Umland erwartet Organisatorin Jana Bialluch am 25. September auf dem Campus in Golm. Uni-Präsidentin Sabine Kunst wird es sich nicht nehmen lassen, gemeinsam mit Bildungsminister Holger Rupprecht die Studenten von morgen persönlich zu begrüßen. Und auch die Professoren und Hochschullehrer, die die insgesamt elf Vorlesungen halten, bereiten sich mit kniffligen Fragestellungen, kindgerechten Erklärungen und nachvollziehbaren Experimenten auf ihr nicht alltägliches Auditorium vor.

„Kinder haben viele gute Ideen, wie etwas funktionieren könnte. Sie stellen in ihrer Fantasie ganz eigenwillige Verknüpfungen her“, weiß Joost van Dongen vom Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie. Als Vater dreier Kinder ist es der Niederländer gewohnt, verständlich zu erklären, womit er sich in seiner Arbeit beschäftigt. „In meinem Fall ist das gar nicht so schwierig, denn Pflanzen hat ja jeder vor der Haustür.“

In seiner Vorlesung wird van Dongen erklären, wie sich eine Pflanze ernährt und was sie tut, wenn sie Durst bekommt. Mit Experimenten, die die Mädchen und Jungen ganz leicht im Alltag wiederholen können, wird er zeigen, dass Pflanzen ungeahnte Kräfte entfalten, dass sie Feinde abwehren und sogar Steine brechen können. Und natürlich stellt er als Pflanzenforscher die Frage aller Fragen: Warum, warum ist die Banane krumm? „Keiner verlässt den Hörsaal“, verspricht er, „ohne darauf eine Antwort zu wissen.“

Eine typische Frage wissbegieriger Kinder, auf die die meisten Eltern bei Zoobesuchen mit ahnungslosem Schulterzucken reagieren, ist die nach den seltsamen Schlafgewohnheiten der Fledermäuse: Warum hängen sie mit dem Kopf nach unten? Die Biologieprofessorin Marianne Vater von der Universität Potsdam kann es erklären. Und nicht nur das. Sie weiß auch, wie sich die Fledermäuse per Echolot in stockdunkler Nacht orientieren. Schüler, die darüber Genaueres erfahren möchten, sollten sich in ihre Vorlesung einschreiben.

Sicher ist, dass es beim Flug der Fledermäuse besonders auf die Ohren ankommt. Ein Sinnesorgan, das beim Menschen als erstes ausgebildet wird. Prof. Werner Beidinger vom Musikinstitut der Uni kann es beweisen. In seiner Vorlesung gibt er ein Tonbeispiel davon, was ein Kind im Mutterleib hört. Doch erinnert sich der Mensch später an diese ersten Hörerlebnisse? Und hat der Rhythmus des mütterlichen Herzschlages möglicherweise Auswirkungen auf die Musikalität des heranwachsenden Kindes? Mit Trommelklängen will Beidinger dies die Mädchen und Jungen sinnlich erfahren lassen. Für ihn ist der Umgang mit Kindern an der Universität nichts Ungewöhnliches. „In der Ausbildung künftiger Musiklehrer gehört es zu unserem Alltag, schwierige Dinge für Schüler so aufzubereiten, dass sie sie verstehen können.“ So wird Werner Beidinger die Kinder in der Vorlesung animieren, selbst Musik zu machen, mit dem eigenen Körper oder mit Instrumenten, die man ganz einfach und preiswert im Baumarkt bekommen kann.

Apropos preiswert: Auch in der Kinder-Uni führt am Thema Geld kein Weg vorbei. Wirtschaftswissenschaftler Wilfried Fuhrmann allerdings bezweifelt, dass man für Geld alles kaufen kann. In seiner Vorlesung stellt er provokante Fragen: Ist viel Geld haben wirklich toll? Kann Geld unglücklich machen? Gibt es vielleicht auch Kinder, die arbeiten müssen, um Geld zu verdienen? Wo leben diese Kinder? Fuhrmann wird im Hörsaal zeigen, dass man mit Dritt- und Viertklässlern schon ganz ernsthaft über Probleme des Finanzsystems diskutieren kann.

Darin liegt möglicherweise der Erfolg dieser universitären Veranstaltung, für die sich Jahr für Jahr mehr Schulklassen interessieren. Die Mädchen und Jungen fühlen sich in den Vorlesungen ernst genommen. Die Professoren trauen ihnen zu, dass sie komplizierte Abläufe verstehen, zum Beispiel wie die Sprache in unsere Köpfe kommt und wie die Augen sich bewegen, wenn wir lesen. Die Linguisten und Kognitionswissenschaftler der Universität lassen die Schüler daran teilhaben, worüber sie sich tagtäglich im Labor den Kopf zerbrechen.

Aber natürlich macht das Studieren auf Probe auch Spaß. Im Hörsaal quasi übereinander und nicht hintereinander zu sitzen wie in der Schule, schon das ist aufregend. Schnell lernen die Kinder, dass man in einem Raum mit hundert anderen mucksmäuschenstill sein muss, um den Professor verstehen zu können. Um so lauter darf am Ende applaudiert werden, nicht klatschend, sondern klopfend auf den Tischen.

Musikprofessor Beidinger sieht in der Kinder-Uni ganz klar eine Möglichkeit, Schüler lange vor dem Abitur für ein Hochschulstudium zu interessieren. „Wenn wir die Kinder frühzeitig hierher einladen, verliert die Universität ihren ,Heiligenschein’ und rückt als etwas völlig Normales in das Bewusstsein der Schüler.“

Auch die Vorlesung des Physikprofessors Martin Wilkens dürfte dazu beitragen, Berührungsängste abzubauen und die kindliche Lust am Forschen zu erhalten. Wilkens erzählt von Albert Einstein, der sich fragte, was eigentlich passiert, wenn man auf einem Lichtstrahl reitet. Er fand eine Antwort, die uns bis heute beschäftigt: Man wird nicht älter.

Antje Horn-Conrad

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