Von Antje Horn-Conrad: Was ist das „richtige Wissen“?
Mathematik-Professor zu künstlicher Intelligenz
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Die Wissensgesellschaft ist in aller Munde. Unmengen an Daten, Fakten und Zusammenhängen muss sich der einzelne Mensch im Laufe seines Lebens in einem nimmer endenden Lernprozess aneignen, um in dieser Gesellschaft mit ihren informationsbasierten Systemen bestehen zu können. Da lockt die Versuchung, anstrengende „Wissensarbeit“ künftig intelligenten Maschinen zu überlassen. Der Mensch allerdings verlöre dann die Autonomie des Denkens. Ein Prozess schleichender Entmündigung.
Professor Klaus Denecke von der Universität Potsdam misst der so genannten Künstlichen Intelligenz eine andere Aufgabe zu. Denecke ist Mathematiker, Lehrer und Wissenschaftler. Er entwickelt Methoden und Instrumente, die dem Menschen das Denken nicht abnehmen, sondern ihn dabei unterstützen, richtiges und richtig strukturiertes Wissen zur Grundlage seiner Entscheidungen zu machen. Nur so kann eine Wissensgesellschaft funktionieren. Nur so, sagt Denecke, lassen sich auch demokratische Prozesse vorantreiben.
Woher aber weiß der Mensch, was „richtiges Wissen“ ist? Und was hat das mit Mathematik zu tun? Um das zu erklären, zerlegt Denecke das Denken in seine Einzelteile: in die Begriffe mit all ihren Eigenschaften, Zuordnungen und Hierarchien. Unser Planetensystem, erläutert er an einem Beispiel, unterteilen wir in Planeten, diese wiederum werden nach ihren Merkmalen unterschieden und geordnet, nach ihrer Größe, ihrer Entfernung oder auch danach, ob sie Monde haben oder nicht. Mit dieser Methode lassen sich die Begriffe beschreiben, analysieren und schließlich in einem Diagramm darstellen, das ihre Beziehungen untereinander sichtbar macht. Solch ein als Begriffsverband bezeichnetes Diagramm erinnert an einen Baum, der um so mehr Äste und Verzweigungen hat, je mehr Eigenschaften und Merkmale in die Begriffsanalyse einbezogen wurden.
Mit geeigneter Computersoftware können schließlich aus der Menge der Begriffsmerkmale bisher unbeachtete Querverbindungen und immer feinere Klassifizierungen errechnet werden. Auf diese Weise lässt sich neues Wissen erschließen, das in den vorhandenen Daten begründet ist. Ein Verfahren, das durchaus schon Anwendung findet. Denecke berichtet von der Technischen Universität in Darmstadt, wo ein sehr effektives Erkundungssystem für die Literatursuche in einer Bibliothek erarbeitet wurde. Die Gegenstände sind in diesem Fall genormte Schlagwörter und die Merkmale sind die Bücher, in denen diese Schlagwörter auftreten. Ein anderes Programm, das die Darmstädter Universität mit dem Bauministerium von Nordrhein Westfalen erstellt hat, erleichtert es Bauherren, sich durch den Dschungel baurechtlicher Bestimmungen und Gesetze zu schlagen.
Wie solche Computerprogramme helfen können, Wissen zu strukturieren und genauer zu klassifizieren, zeigt das Beispiel einer Kinderklinik, die für eine besondere Krebserkrankung bislang nur vier Untergruppen kannte. Inzwischen errechnet ein Computer anhand der beschriebenen Merkmale eine Vielzahl neuer Untergruppen. Ein Wissenszuwachs, der den Ärzten nun differenziertere Therapien ermöglicht. Solche Anwendungen künstlicher Intelligenz sind bereits Realität. Sie nehmen den Menschen nicht das Denken ab, sondern unterstützen sie dabei, die Menge vorhandenen Wissens zu verarbeiten und daraus logische Schlüsse zu ziehen.
„Jede Antwort aber wirft neue Fragen auf“, sagt Denecke und beschreibt ein weiteres Forschungsfeld: die Modellierung so genannter zustandsbasierter Systeme, die mathematische Beschreibung ihrer Eingänge, Ausgänge und inneren Zustände. „Jeder Automat ist so ein System, aber auch jede Zelle unseres Körpers“, erklärt Denecke. Ziel der Mathematik ist es, ihre Komplexität durch Abstraktion besser zu verstehen. Ein Thema sicher auch auf der 72. Internationalen Arbeitstagung Allgemeine Algebra, zu der Gastgeber Klaus Denecke vom 20. bis 22. März Mathematiker aus aller Welt an der Universität Potsdam erwartet.
Antje Horn-Conrad
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