
© M. Thomas
ORTSTERMIN: „Was ist mit Tibet?“
Es ist eine kleine, verloren wirkende Gruppe von Leuten, die sich da vor dem Stadthaus trifft. Der Wind, der tags zuvor noch nach Frühling roch, beißt nun eisig in Hände und Gesicht.
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Es ist eine kleine, verloren wirkende Gruppe von Leuten, die sich da vor dem Stadthaus trifft. Der Wind, der tags zuvor noch nach Frühling roch, beißt nun eisig in Hände und Gesicht. Trotz der Kälte schließt Jens Freiberg seine Winterjacke nicht, er trägt er einen Pullover mit dem Aufdruck „Was ist mit Tibet?“. Wie jedes Jahr wird vor dem Stadthaus die Flagge Tibets gehisst, als Erinnerung an den Volksaufstand der Tibeter gegen die chinesische Herrschaft am 10. März 1959 in Lhasa, der Hauptstadt von Tibet.
Freiberg, ein Designmöbel-Händler aus der Innenstadt, ist Mitbegründer der Potsdamer Regionalstelle der Tibet Initiative Deutschland (TID). „Wir haben uns die Grundrechte bereits erkämpft“, sagt Freiberg, „aus diesem Glücksgefühl heraus sage ich, das sollen alle Menschen haben“. Tibet, seit 1950 von China besetzt, stelle „einen drastischen Fall der Missachtung der Menschenrechte dar“. Anstelle des Oberbürgermeisters ist die Sozialbeigeordnete Elona Müller-Preinesberger (parteilos) gekommen, um die Tibetflagge aufzuziehen. Tapfer stellt sie sich dem eisigen Wind. Sie wirkt nicht, als absolviere sie einen Pflichttermin. „Es ist wichtiger denn je, solidarisch zu sein“, ruft sie der kleinen Menschengruppe zu, darunter Sonam Chuki, die einzige in Potsdam lebende Tibeterin. Sie fordert „kulturelle Freiheit für die Tibeter, damit sie ihre Bildung, Kultur und Sprache leben können“. Besonders würdigt die Beigeordnete den gewaltfreien Widerstand der Tibeter, denn „Gewalt erzeugt nur wieder Gewalt“. Mit Entsetzen spricht Müller-Preinesberger von den bisher 107 Tibetern, die mit ihrer Selbstverbrennung gegen die Besetzung protestierten. „Die Verzweiflung der Menschen auf dem Dach der Welt erreicht unbekannte Ausmaße“, berichtet Ernst Cantner, Sprecher der TID in Potsdam. Seine Frau Ulrike Cantner macht darauf aufmerksam, dass Tibet am kommenden Sonntag in der Erlöserkirche in die Gebete einbezogen wird. Ein Tibeter werde eine Fürbitte in tibetischer Sprache vortragen. Sie habe dank der Fotos im Internet in jedes Gesicht der 107 Tibeter geschaut, die den Freitod wählten: „Sie müssen so verzweifelt gewesen sein, dass sie keine Zukunft mehr für sich sahen.“
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