Landeshauptstadt: „Was kostet 1000-Quadratmeter-Rasenmähen?“
Existenzgründer im Planspiel/Künftige Ich-AG ler testeten in Potsdam den Ernstfall
Stand:
Existenzgründer im Planspiel/Künftige Ich-AG ler testeten in Potsdam den Ernstfall Von Karsten Sawalski Für diese Woche haben sie alle einen Plan. Danach müssen sich die zwölf Teilnehmer, die eine Ich-AG gründen wollen, selbst organisieren. In 40 Unterrichtsstunden sollen sie „Sinn, Nutzen, und Grenzen systematischer Unternehmensführung erleben“. So lautet der erste Punkt der Zielsetzung des Existenzgründertrainings, das die Brandenburgische Instituts GmbH für Aus- und Weiterbildung (BIAW) veranstaltet. Der Unterricht findet von acht bis 16 Uhr in den eigenen Räumen in der Babelsberger Otto-Erich-Straße statt. Inhaltlich soll das unternehmerische Potenzial der Ich-AGler erfasst und bewertet werden. In Form eines Planspiels trainieren die Teilnehmer ihre unternehmerische Entscheidungsfähigkeit. „In dem Spiel lernen Sie die Komplexität der Unternehmensführung kennen“, hatte der Planspielleiter Bernd Freund im Vorfeld versprochen, „nach der Woche wissen Sie, an was Sie noch arbeiten müssen“. Dienstag „Wir wollen uns nicht lange mit der Theorie aufhalten“, sagt Freund und leitet von den Unternehmensformen „Monopol-Oligopol“ direkt auf das Planspiel über. Freund ist ausgebildeter Betriebswirt und Geschäftsführer eines Vereins. Seit zwei Jahren unterrichtet er Existenzgründer und auch gestandene Unternehmer. „Die wenigsten Ich-AGler sind auf das vorbereitet, was auf sie zukommt“, sagt er, die Politik habe bei der Bekanntmachung der Ich-AG „völlig ausgeblendet, dass man dazu unternehmerische Vorkenntnisse braucht“. Einen Businessplan zu erstellen, bevor man sich selbstständig macht, sei sehr sinnvoll, merkt Freund an, von den Ich-AG-Gründern werde das aber nicht verlangt. Die BIAW habe für die neuen Kurse im Dezember eine zweite Seminarwoche mit dem Schwerpunkt „Businessplan“beim Arbeitsamt Potsdam beantragt. Die Teilnehmer können sich für das Existenzgründertraining vom Arbeitsamt fördern lassen. Aber eine Erfolgsbilanz müsse BIAW dem Arbeitsamt nicht vorweisen, sagt Freund. „Erfolg ist, dass die Leute, die durchhalten, eine gute Vorbereitung bekommen und die Nicht-Unternehmer von einer selbstständigen Tätigkeit abgehalten werden“, sagt der Planspielleiter. Es sei aber sehr selten, dass man Seminarteilnehmern von der Existenzgründung abraten müsse. „Die meisten sind sehr motiviert“. So wie Mercedes Knaps. „Ich will spätestens am ersten Januar 2004 starten“, sagt die 36-jährige alleinerziehenden Mutter eines vierjährigen Sohnes voller Tatendrang. In ihrem Heimatort Ludwigsfelde will sie einen An- und Verkauf-Laden für Gebrauchtes eröffnen. „Ich nehme dort alles, von Textilien bis zu elektrischen Geräten, es muss nur heil und funktionstüchtig sein“, sagt Knaps. Das Besondere: Der Second-Hand-Handel soll mit einer Puppenstube kombiniert werden. „Vieles an kaputten Puppen kann ich nähen, ansonsten habe ich schon eine Menge elektrischer Werkzeuge angeschafft“, sagt die zukünftige Unternehmerin. Sie hat viel vor und schon einiges vorbereitet. Hier, im Seminar, arbeitet sie zunächst wieder im Team. Für das Planspiel teilen sich die Teilnehmer in vier Unternehmen auf, die gegeneinander antreten. Die Ich-AGler sollen Autoteile kaufen, später selbst produzieren und auf den Märkten in Deutschland, Europa und Japan wieder verkaufen. Das Spiel findet im Computer statt. Die Spieler speichern die Entscheidungen für ihr Unternehmen auf ihrer Diskette. Nach Ablauf einer Runde speist der Planspielleiter das zentrale Programm mit diesen Datenträgern. Der Computer übernimmt dann die Rechenarbeit und simuliert den Markt. Die Ergebnisse wirft ein Projektor in Form von Tabellen an die Wand. Die Entscheidungsmöglichkeiten sind komplex: Zahlungsverhalten, Rationalisierungsmaßnahmen, Marktforschung und Werbung können von den Teilnehmern beeinflusst werden. „Ein gutes Planspiel ist das, was die Wirklichkeit möglichst komplex abbildet“, ist Freund überzeugt. Aber der Teilnehmer Birk W. hatte sich „etwas anderes vorgestellt“. „Wir rechnen hier in so hohen Dimensionen, die ich selbst nie erreichen werde“, kritisiert der 40-Jährige, der sich mit einem umfassenden Service von Büroreinigung über Catering bis zur Gartenpflege selbstständig machen will. Den Bereich Haus- und Gartenpflege bearbeiten auch vier andere Teilnehmer dieses Seminars. „Es ist schon wirklichkeitsnah“, relativiert Birk W. seine Kritik später, „aber sehr pauschal, da muss sich jeder seinen Teil raussuchen“. Mercedes Knaps bekommt für ihren Teil gerade die Bestätigung, dass sie die persönlichen Voraussetzungen für eine Unternehmerin mitbringt. „Sie sind der Macher“, bestätigt ihr Sabine Voigtmann, die für die Bereiche Assessment, Rhetorik und Kommunikation bei BIAW zuständig ist. Im Laufe der Woche führt die ehemalige Lehrerin mit jedem Ich-AGler ein Einzelgespräch. Am Montag hatte sie einen „Fragebogen zur Diagnose unternehmerischer Potenziale“ verteilt, der „situativ“, also möglichst schnell, ausgefüllt werden musste. Die Fragen zielen auf die Selbsteinschätzung der Teilnehmer ab und bilden die Grundlagen der Einzelgespräche. „Worüber ich mir noch nicht ganz klar bin, ist ihre emotionale Stabilität“, sagt Voigtmann, die durchblicken lässt, dass ihre Einschätzung auch auf Beobachtungen während des Unterrichts beruhen. „Ich bin ein Typ, der stark belastbar ist“, erwidert Knaps selbstsicher, „bis zu einer gewissen Grenze, dann wehre ich mich“. Die 36-Jährige bekommt von der ehemaligen Lehrerin „mittlere bis gute Voraussetzung“ bestätigt, um sich selbstständig zu machen. Voigtmann hat keine psychologische Ausbildung, sie stützt ihr Urteilsvermögen auf die Literatur zum Thema. Den Fragebogen hält sie zwar für „von Psychologen klug zusammengestellt“, aber die eigene Einschätzung relativiert sie: „Das ist schon mit Vorsicht zu genießen, wir geben ja nur Tendenzen weiter“. Donnerstag „Es heißt zwar Planspiel, ist aber ernste Betriebswirtschaft“, verteidigt Freund die triste Oberfläche des Programms. Die Teilnehmer bekommen die Ergebnisse ihrer Entscheidungen in Form von nüchternen Tabellen und schlichten Grafiken via Projektion an der Wand präsentiert. Während der Pause ist die allgemeine Stimmung geteilt. „Das bringt schon was“, sagt Henrik B. (33). „Es könnte konkreter sein“, urteilt dagegen Marco Fuhrmann über das Seminar. Der 26-Jährige gründete am 1. August eine Ich-AG in der Versicherungsbranche. Eigentlich hat er einen Beruf in der Krankenpflege erlernt. Das Know-How über Versicherungen habe er von Bekannten bekommen. Der Start sei schon sehr schwierig gewesen, sagt Fuhrmann. Während der Existenz sichernden Kundensuche erhielt der 26-Jährige noch etliche Briefe, die ihn aufforderten, „sich hier und dort anzumelden“. Deshalb sucht er jetzt eine Orientierungshilfe. Über den Inhalt des Seminars habe er „leider vom Arbeitsamt kaum Informationen erhalten“, sagt Fuhrmann. Die Teilnehmer haben die Möglichkeit der täglichen Seminarkritik ergriffen und das Planspiel als „zu allgemein und fern von der Wirklichkeit einer Ich-AG“ problematisiert. Es gäbe aber kein Programm für Friseure, sei ihnen versichert worden. Freitag „Was kostet 1000-Quadratmeter-Rasenmähen?“, fragt Freund im Zusammenhang mit der Klärung des Begriffs „Deckungsbeitrag“. Der Planspielleiter versucht die Beziehung zur Wirklichkeit wieder herzustellen. Die angehende Haus- und Gartenservicebranche schweigt, keiner macht ein Preisangebot. „Ich arbeite auf Stundenbasis“, sagt einer. Der letzte Tag des Seminars ist hektisch: Die Teilnehmer müssen das Planspiel noch zu Ende bringen und die Präsentation der eigenen Ich-AG steht an. „Dieses Training ist sehr wichtig für mich, weil hier Leute um mich sind, die ähnliche Probleme haben wie ich“, sagt Mercedes Knaps mit leicht zitternder Stimme, als sie ihre Ich-AG-Idee vor den anderen Teilnehmern und einer mitlaufenden Videokamera präsentiert. Die angehende Unternehmerin hat ihr Publikum sofort gewonnen. Die junge Mutter hat ganz klare Vorstellungen von dem, was sie verwirklichen kann und will. Sie sei „schon länger arbeitslos“, referiert Knaps, und wolle sich deshalb nun in Ludwigsfelde selbstständig machen. Das An- und Verkaufsgeschäft will sie „erstmal im kleinen Rahmen“, in einem kleinem Raum auf dem Grundstück ihres Vaters, eröffnen. Der ist selbstständiger Steinmetz. Knaps kennt bereits ihre Zielgruppe, weil sie früher für einen gemeinnützigen Verein in dem Ort gearbeitet hat. „In Ludwigsfelde wohnen viele Rentner und allein erziehende Mütter, die alle Geld sparen müssen“, sagt sie. Mit einer persönlichen Anmerkung beschließt die künftige Betreiberin der „Puppenstube“ ihre Präsentation: „Ich hoffe meine Zukunft und die meines Kindes sichern zu können“. Mercedes Knaps nimmt den anschließenden Applaus sichtbar erleichtert entgegen. Diese Anerkennung wird ihr sicherlich noch lange in Erinnerung bleiben. Ab nächster Woche muss sie sich wieder selbst loben
Karsten Sawalski
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: