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Von Peer Straube: Wasserspiele für das Werder-Obst

Gerhard Richter arbeitete 40 Jahre im Meliorationskombinat – jetzt weicht es dem Synagogenneubau

Von Peer Straube

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Fast sein ganzes Arbeitsleben hat Gerhard Richter in dem Haus verbracht. Er kennt dort jeden Winkel. „Ich habe fast in jeder Etage mal gesessen“, sagt der 62-Jährige schmunzelnd. Richter ist Diplomagraringenieur, „Wasserbauer“, salopp gesagt. Seine Karriere begann in dem Gebäude, dessen Stündlein jetzt geschlagen hat – dem DDR-Plattenbau an der Ecke Schloss- und Friedrich-Ebert-Straße.

Errichtet wurde es 1966/67 an prominenter Stelle. Bis 1945 stand dort das berühmte Hotel „Zum Einsiedler“, dessen Existenz der Bombenhagel in der Nacht des 14. April 1945 ein Ende setzte. In sozialistischer Zweckbautenoptik wurde 20 Jahre später ein roter Beton- und Glaswürfel hingeklotzt – als neuer Sitz des Volkseigenen (VE) Meliorationskombinats Potsdam. Richter betrat ihn 1970 zum ersten Mal. Es sollte 40 Jahre lang das Ziel seines morgendlichen Arbeitsweges bleiben. 150 bis 170 Menschen, schätzt Richter, waren zu DDR-Zeiten dort beschäftigt. Sie planten dort so ziemlich alles, was mit Landwirtschaft und Wasser zusammenhängt – die Be- und Entwässerung von Feldern und Plantagen, Deich- und Wehrbau, die Planung von Wirtschaftswegen und den Bau von Silos. Der Zuständigkeitsbereich umfasste den gesamten Bezirk Potsdam. Auch die Obstplantagen rund um Werder brachten Richter und Co. erst richtig zur Blüte. Das Meliorationskombinat plante und baute ein System, das Wasser aus der Havel durch in der Erde verlegte Leitungen pumpte, die riesige Beregnungsanlagen speiste, mit denen die Plantagen bewässert werden konnten.

Nach der Wende gründeten die Projektierer des Kombinats, darunter Richter, eine eigene Firma, das Ingenieurbüro Melior. Sieben Jahre hielt es durch, denn als die Aufträge immer mehr versickerten, musste 1997 Insolvenz angemeldet werden. Mit zwei Partnern wagte Richter wiederum einen Neustart. WBL – Wasser, Boden, Landschaft – heißt ihre Firma, die „Gott sei Dank einen Verbündeten hat“, wie Richter erklärt: „Das Klima.“ Denn seit dem Oderhochwasser hat der Deichbau auch in Brandenburg Hochkonjunktur – und verschafft so auch WBL eine gute Auftragslage.

Eine Durststrecke gab es zur Jahrtausendwende dennoch zu überwinden – die schlug sich auch in anderen Branchen nieder. „Damals waren wir die einzigen Mieter in dem Haus“, erzählt Richter. „Das war manchmal richtig unheimlich.“

Unheimlich ist es jetzt wieder. Die Büros sind alle leer, nur die Jüdische Gemeinde ist bis Ende der Woche noch mit dem Auszug beschäftigt. Andreas Schleicher vom Sanierungsträger macht einen letzten Kontrollgang durch das Gebäude. Die Treuhandfirma der Stadt managt den Abriss, mit dem nicht zuletzt Platz für die neue Synagoge geschaffen werden soll. Von den Wänden bröckelt der Putz, die Tapeten wellen sich – nur skurril gemusterte Teppiche mit zahllosen Kaffeeflecken und aufgestapelte DDR-Möbel künden noch von der alten Geschäftigkeit. Im Obergeschoss warnen Schilder vor der Asbestbelastung. Den Schadstoffen, deren Verwendung damals Baustandard war, werde zuerst zu Leibe gerückt, sagt Schleicher. Erst wenn sie fachmännisch entfernt wurden, können die eigentlichen Abrissarbeiten beginnen. Ein Langarmbagger wird dann per Greifarm die Betonelemente abreißen. Probleme für die Statik des benachbarten, denkmalgeschützten Kabinetthauses seien nicht zu befürchten. Die Gebäude stoßen nicht aneinander, 30 Zentimeter Luft sind dazwischen. Ende April soll der fünfgeschossige Plattenbau geschleift sein, das geräumte Baufeld für die Synagoge will der Sanierungsträger bereits am 31. März übergeben. 350 000 Euro kostet der Abriss insgesamt. Im Erdgeschoss kündet noch ein Wegweiser von der imposanten Zahl von Mietern des Hauses – von der Frauenhilfe bis zur Diakonie, vom Amtsgericht bis zur Tiertafel. „Das war schon eine bunte Mischung“, sagt Schleicher.

Auch Richters WBL ist seit einem Jahr weg – die Firma ist in die Waldstadt II umgezogen. Traurig ist er darüber nicht. Das Haus in der Innenstadt sei von Anfang an schlecht isoliert gewesen. „Im Winter haben wir uns in Decken eingewickelt und im Sommer waren über 30 Grad in den Büros“, sagt der Ingenieur. „Für Potsdam ist es doch schön, wenn dort jetzt etwas Neues gebaut wird.“

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