Von Jan Brunzlow: Watt Wo alles begann Ein Besuch in Eilsum
Viel hat sich seit dem Wegzug von Jann Jakobs vor 41 Jahren verändert, nur eines nicht. Die Eilsumer. Sie sind stolz auf ihren Landsmann.
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Moin. Kurz und friesisch ist die Begrüßung. Dann sind die Jungs auf ihren Rädern vorbei und biegen in Richtung Fußballplatz ab. Er ist eines der wenigen Dinge, die Eilsum noch zu bieten hat, dieser Ort am nordwestlichsten Zipfel Deutschlands, fünf Kilometer von der Nordsee entfernt. Das Kanal-Stadion Eilsum, betreut vom FC Erni, einer Thekenmannschaft ohne Theke. Denn selbst eine Kneipe gibt es in dem 637-Seelen-Dorf nicht mehr. Schlachter, Frisör und Bäcker haben schon vor einigen Jahren aufgegeben, die Grundschule wurde geschlossen, selbst die Post ist zu. Nichts ist mehr so, wie Jann Jakobs es von früher kennt, als er sich noch Sahnebonbons beim Bäcker holte und dann in die Schule ging. Im Dezember 1953 ist er hier geboren, 15 Jahre hat er hier gelebt. Geblieben sind ihm ein Teil der Familie sowie die Erinnerungen an die ostfriesische Weite. Zurückgeblieben ist bei den Menschen die Erinnerung an einen Friesen-Jungen, der aus ärmlichen Verhältnissen auszog, sich durchbiss und Oberbürgermeister einer Landeshauptstadt wurde.
Eilsum Westerstraße. Es wird dunkel, Jelto Willms kommt nach Hause. Der Junge mit den längeren roten Haaren – einer seiner Freunde spottet, er habe Angst vorm Frisör – kennt Jann Jakobs schon lange. Immerhin ist der sein Onkel. Gesehen hat er ihn schon länger nicht, denn „Onkel Jann“, wie er sagt, hat wenig Zeit. „Er verspricht immer etwas, aber hält es dann nicht“, sagt Jelto in Bezug auf geplante Besuche. Doch es sei auch nicht so schlimm. Überraschend für seine Freunde ist hingegen, dass er einen so bekannten Onkel hat, der Oberbürgermeister in Potsdam ist. Und überhaupt, „wo liegt denn eigentlich Potsdam?“, fragt einer der Jungs.
„Wir tragen das nicht vor uns her“, sagt Jeltos Mutter Manuela Willms. Sie ist eins der sieben Geschwister, die Jann Jakobs hat. Und sie wohnt noch in dem Haus, das ihr Vater Heyko Mitte der 60er Jahre für die Familie gebaut hat und in dem die Mutter Theda bis zu ihrem Tod vor gut einem Jahr gelebt hat. Heyko Jakobs war gelernter Schmied und Arbeiter im Thyssener Nordseewerk Emden. Und er hat an den Wochenenden die Pferde der Bauern im Ort beschlagen. Jakobs hat schöne Erinnerungen an seine Kindheit im Ort, vor allem an die weitläufige Natur, das nahe Wattenmeer und der Geruch des Meeres und der See.
Die finanziellen Möglichkeiten der Familie waren knapp bemessen, er selbst beschreibt die Lebensart als „bodenständig“, andere sagen „ärmlich“ dazu. Acht Kinder mussten die Eltern durchbringen, nicht immer einfach. Nachbarin Antje Eden kann sich an die Jahre erinnern, als Familie Jakobs neben ihr im Faldernweg in der Dorfmitte gewohnt hat. Ihr Sohn und der Nachbarsjunge Jann gingen gemeinsam in die Schule. Jahrgangsübergreifender Unterricht gab es in der Grundschule, denn es gab so viele Kinder nun auch nicht. Im Winter war das Schulhaus auch mal Kinosaal. Und die Kinder sind sie den kleinen Weg vor dem Haus mit dem Schlitten runtergerodelt oder waren auf dem Kanal Schlittschuhlaufen, erinnert sich Antje Eden. Sie steht auf dem Weg und zeigt, wie es hier vor 50 Jahren ausgesehen hat. Sie kennt es genau, sie ist hier geboren. Sie erzählt von Vater Heyko Jakobs und davon, dass er einen Schlitten selbst gebaut und von der Arbeit mitgebracht hat. Essen gab es vor allem vom eigenen Feld. Das Mehl musste er allerdings aus dem benachbarten Greetsiel holen.
Inzwischen ist das am Wattenmeer liegende Greetsiel ein richtiger Urlaubsort. Wesentlich bekannter, beliebter und belebter als Eilsum. Touristen pilgern über den Deich zum Leuchtturm nach Pilsum, der aus vielen Filmen des ostfriesischen Komikers Otto Walkes bekannt ist. Und künftig könnten es noch mehr Fremde sein, denn ein Investor will einen Ferienpark zwischen Greetsiel und Eilsum errichten. Der Tourismus sei ein florierender Wirtschaftsbereich, nicht alle wollen das hier im ländlichen Eilsum.
Ein Fürsprecher ist Siegfried Wübbena. Es müsse auch an die Zukunft gedacht werden, sagt der Eilsumer Ortsvorsteher. Seit 29 Jahren lenkt er die Geschicke in der Gemeinde. Er ist Sozialdemokrat, wohnt in Sichtweite des letzten Jakobs-Familiensitzes in der Westerstraße und kannte schon Vater Heyko Jakobs, der ebenfalls Mitglied der SPD war. Damals wie heute verdienen viele Familien der Region ihren Lebensunterhalt in Emden. Was einst die Nordseewerke mit dem U-Boot-Bau für die Marine war, ist heute Volkswagen. „Wenn wir das nicht hätten, sähe es hier anders aus“, sagt Wübbena. Der Tourismus sei eine Ergänzung in der Küstenregion. Selbst in Eilsum gibt es vereinzelt Häuser, die nur als Ferienhaus genutzt werden.
Auch Wübbena kennt Jakobs seit Jahren, noch als kleinen Jungen. Dann habe er ihn lange aus den Augen verloren, erzählt er, während seine Frau einen echt ostfriesischen Tee mit Kandis und Sahne bereitet. Erst als eine lokale Tageszeitung im Frühjahr 1999 berichtete, dass der Eilsumer Jann Jakobs in Potsdam stellvertretender Oberbürgermeister geworden ist, da haben sie seine Spur wiedergefunden. In den 30 Jahren dazwischen war Jann Jakobs In Norderham in der Ausbildung, in Hannover studieren und in Berlin arbeiten. Anfangs war er im 150 Kilometer entfernten Norderham, um in den Vereinigten Flugtechnischen Werken den Beruf des Flugzeugbauers zu lernen. Eine Fahrt nach Eilsum war bei dem Lehrgeld und der schmalen Geldbörse der Eltern nicht immer drin. Jann Jakobs hat zu dieser Zeit bereits wirtschaftlich auf eigenen Beinen gestanden, mit 15 Jahren. Nebenher ging er jobben. Während er Flugzeugbauer lernte, betreute er wochenends geistig behinderte Kinder in einem Kinderheim. „Das hat den Ausschlag für meine spätere Arbeit gegeben“, sagt er heute. Besuche zu Hause wurden immer seltener.
Schwester Manuela Willms kennt ihn ohnehin nur von Besuchen. Der Altersunterschied der beiden ist so groß, dass er bereits aus dem Haus war, als sie gerade krabbeln konnte. Und wenn er mal nach Hause kam, musste sie essen, was er sich von der Mama gewünscht hat. Bohnensuppe und eine ostfriesische Spezialität mit Speck und viel Fett. Seine in Eilsum verbliebene Schwester Manuela kennt viele Geschichten aus der Kindheit. Auch die mit den Haaren ihres Bruders. Immer hatte er lange Haare, doch eines Tages stand er mit kurzen vor der Tür. „Mama, ein Mann“, haben die Schwestern damals gesagt. Sie haben ihren Bruder nicht erkannt. Es war die Zeit, als der Fußballer Paul Breitner sich seine Haare abgeschnitten und den Bart abrasiert hat. „Das habe ich dann auch gemacht“, sagt Jann Jakobs. Und es war die Zeit, als er in Berlin ein Jura-Studium begonnen hat. Das mit dem glattrasierten Gesicht hat er später nur noch selten probiert, doch die Haare ließ er kurz.
In Eislum sind stolz auf ihren ostfriesischen Landsmann. Wer auch im Ort gefragt wird, Jann Jakobs kennen sie alle. Sei es aus Kindertagen, dem Fernsehen oder aus der Zeitung. Und Manuela Willms sagt: Er habe gezeigt, dass es auch einer aus ärmlichen Verhältnissen aus Ostfriesland schaffen kann. Für die Wahl am Sonntag drücken sie ihm die Daumen. Sei es seine Familie, Nachbarin Willems, Tante Henriette, die frühere Nachbarin Antje Eden, Krumhörns Bürgermeister Johann Saathoff oder Siegfried Wübbena: Und alle geben sie ihm einen Rat. Er soll sich eine ostfriesische Eigenschaft bewahren – wenn man einmal etwas zugesagt hat, muss man es auch einhalten. Ein Ja ist ein Ja. Sturheit, wie man Jann Jakobs gelegentlich nachsagt, wollen sie das aber nicht nennen.
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