Landeshauptstadt: Weich wie Schwamm
Stamm der Eiche an der Behlertstraße vom Pilz zerfressen / Einzelne Proteste begleiteten Fällaktion
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Innenstadt - Die Eiche an der Kreuzung Behlertstraße/Berliner Straße ist gefällt. Am Sonnabendvormittag wurde um kurz nach 10.30 Uhr der massige Stamm abgesägt und gab den Beweis für die Fällung preis: In Bodenhöhe war das Stammesinnere von einem Pilz zerfressen und weich wie ein Schwamm. Somit war die Fällung begründet. Im Vorfeld zweifelten einzelne Aktivisten ein Baumgutachten an, das von der Stadt in Auftrag gegeben wurde. In dem Bericht wurde der Befall durch einen Lackporling dokumentiert, woraufhin Potsdams Grünflächenamtsleiter Gebhard Tworke wegen Sicherheitsbedenken die Fällung anordnete.
Um 7 Uhr wurde die Stelle abgesperrt, die Fahrbahn eingeengt, der Kran aufgestellt. Zeitgleich kam die Einzelaktivistin Kristin Hintzsch an die Behlertstraße. „Ich hatte gehofft, dass Umweltverbände gegen die Baumfällung protestierten“, sagte die Potsdamerin. Vergebens, mit 50 Teelichtern und A4-großen Plakaten machte sie zunächst allein auf das „Verbrechen“ der Fällung aufmerksam. „Ich bin so alt wie das Stadtschloss“ und „Opfer der Bürokratie“ stand auf den Zetteln, die Hintzsch um den Stamm drapierte.
Als die ersten Äste der ausladenden Baumkrone in 22 Metern Höhe fielen, war ausschließlich gesundes Holz an den Schnittstellen zu sehen. „Wo soll denn dieser Baum krank sein“, empörte sich Hintzsch und sah hinter der Fällung ausschließlich den Grund des Platzschaffens für eine dritte Fahrspur in der Behlertstraße, mutmaßte Kristin Hintzsch. Zudem empörte sie sich, warum „Tworke als Hesse überhaupt über Potsdamer Bäume entscheiden“ dürfe, die Bedeutung für das Stadtbild könnten nur wirkliche Potsdamer einschätzen, glaubte die Einzelkämpferin.
Der Vorarbeiter der Berliner Landschaftsbaufirma Kusche und Partner, Markus Zimpel, hingegen versuchte, Hintzsch und zwei, drei andere Protestierer mit gutachterlichen Sätzen zu beschwichtigen. „Der Pilz, ein Lackporling, ist laut der Untersuchung nur in Bodennähe im Stamm nachweisbar, schon ab einem halben Meter über dem Boden ist das Holz nicht befallen“, erklärte Zimpel. Daher würden auch die oberen Äste tadellos aussehen. Der zerteilte Eichen-Riese werde im Verkehrshof zwischengelagert, die weitere Verwendung des Holzes obliege dem Grünflächenamt, so Zimpel.
Dabei gab es schon einen Bewerber für den massigen Stamm. Der Potsdamer Holzbildhauer Steffen Brünner wollte mit anderen Künstlern im Rahmen eines stadtweiten Events wie der Potsdamer Erlebnisnacht ein Kunstwerk herausarbeiten, um „dem Baum posthum ein Denkmal zu setzen“. Das Angebot der Stadt, mithilfe des Technischen Hilfswerks den Stamm zum Malteser Treffpunkt Freizeit zu transportieren, musste Brünner absagen. „Tworke rief mich an und erklärte, das sei nur mit finanzieller Eigenbeteiligung möglich“, so Brünner. Zudem wollte er den Baum so komplett wie möglich erhalten, „nicht so stückchenweise, wie er jetzt zersägt wurde“, bemängelte der Künstler.
Trauer um das Grün vor ihrem Haus empfand Jutta Ladenthin. „Der Baum gehörte irgendwie dazu“, sagte die Anwohnerin der Behlertstraße. Die Alt-Potsdamerin beobachtete von ihrem Schlafzimmerfenster die Fällaktion – „mit Tränen in den Augen“, wie sie zugab. Seit ihrem Einzug 1974 hatte sie das Laubwerk vor dem Fenster ihres jetzigen Schlafzimmers. Nun ist der Blick frei auf die Humboldtbrücke und die Kreuzung. „Zukünftig wird es bestimmt lauter und dreckiger werden“, mutmaßt sie.
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