zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Weiterhin heftige Kontroverse um die Leistikowstraße Stalinismus-Opfer nutzen Buch-Diskussion mit dem Historiker Wolfgang Benz zur Gedenkstätten-Kritik

Innenstadt - Zu einer emotionalen Kontroverse vor überfülltem Auditorium kam es am Mittwochabend in der Potsdamer Landeszentrale für politische Bildung. Vorgestellt wurde das vom Historiker Wolfgang Benz herausgegebene Buch mit dem langen Titel „Ein Kampf um Deutungshoheit.

Stand:

Innenstadt - Zu einer emotionalen Kontroverse vor überfülltem Auditorium kam es am Mittwochabend in der Potsdamer Landeszentrale für politische Bildung. Vorgestellt wurde das vom Historiker Wolfgang Benz herausgegebene Buch mit dem langen Titel „Ein Kampf um Deutungshoheit. Politik, Opferinteressen und historische Forschung. Die Auseinandersetzung um die Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstrasse Potsdam“.

Verbände von Opfern stalinistischer Verfolgung hatten schon im Vorfeld ihren Unmut über das Buch geäußert; Mitglieder des Vereins Gedenk- und Begegnungsstätte Ehemaliges KGB-Gefängnis Potsdam e. V. verteilten vor Beginn eine kritische Stellungnahme. Es würden „fehlerhafte, diskriminierende oder polemische Aussagen über uns gemacht“. Eine Tätlichkeit des Zeitzeugen Lothar Scholz gegen die Gedenkstättenleiterin Ines Reich im März 2012, die am 30. Mai vor dem Potsdamer Amtsgericht verhandelt wird, mag Martina Weyrauch, Leiterin der Landeszentrale, zu der ironischen Auftaktbemerkung veranlasst haben: „Die Messer habe ich heute nicht eingesammelt. Ich hoffe, die Waffen bleiben in den Taschen.“

Die Hoffnung erfüllte sich, geschenkt wurde sich in der von Alfred Eichhorn moderierten Podiumsdiskussion aber nichts. Die Diskutanten – Ines Reich, Wolfgang Benz, Horst Schüler, Ehrenvorsitzender der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (OUKG), und Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur – setzten eingangs noch auf Gemeinsames. Eichhorn, letzter Chefredakteur von Radio DDR und freier Journalist, machte mit einem Benz zugeschriebenen Zitat zunächst den Grundkonflikt klar: „Historiker und Zeitzeugen sind natürliche Feinde.“ Der Antisemitismusforscher winkte ab: „Einen größeren Blödsinn habe ich nie gehört“, so Benz. Ohne Empathie mit den Opfern könne man eine Chronik machen, aber keine Geschichtsschreibung. Nachdem Horst Schüler antwortete, kam kurz gar so etwas wie Harmonie auf. Der Ex-Häftling im russichen Gulag Workuta: „Wir wissen, unsere Erfahrungen sind von Emotionen geprägt.“ Zeitzeugen und Historiker müssten „in gegenseitigem Respekt aufeinander zugehen“. Auch die Benz-Kritik an der Totalitarismus-Theorie, der Vergleich von Faschismus und Stalinismus, als „Konstruktion eines allgemeinen Bösen“ und „Ende der Differenzierung“ stand nicht im Gegensatz zu Schülers Position: „Wir werden den Holocaust immer anerkennen als das schlimmste Verbrechen der Menschheit.“

Doch spätestens, als es konkret um Textpassagen im Buch und insbesondere aber in der Gedenkstätten-Ausstellung ging, traten die Gegensätze scharf hervor. Anna Kaminsky kritisierte, dass die Geschichte des Hauses Leistikowstraße 1 sowie des Eigentümers, des Evangelisch-Kirchlichen Hilfsverein, nicht später erforscht wurde. Stattdessen fehle in der Ausstellung, „wie Spionage instrumentalisiert wurde, um Bürger mundtot zu machen“. „Es ging um die Durchsetzung einer neuen Diktatur in der SBZ, das wäre die Grundlage gewesen!“ In diesem Zusammenhang machte Ines Reich die Bemerkung: „Die politischen Rahmenbedingungen sind, wie sie sind: Wir haben eine rot-rote Landesregierung.“ Diese Dinge müsse „man auch immer mitdenken“.

Wohl auch, weil es Herausgeber Benz gelang, sein Buch aus der Schusslinie zu nehmen – „Sie können ihm eines oder viele andere Bücher entgegensetzen“ – wurde immer mehr Ines Reich Adressat von Kritik: Ihr wurde vorgeworfen, keine Führungen in der Leistikowstraße durch Zeitzeugen zuzulassen und in den Ausstellungstexten Distanz zu wahren – „als gucke da jemand vom Mond auf die Erde“. Stein des Anstoßes ist etwa die Passage „manche überlebten die Haft nicht“, was von Opfern als „unverhältnismäßig hart“ angesehen wird. Nie sei so über Opfer vor 1945 geschrieben worden. Historiker Benz versuchte beizuspringen: Nie würde man von ihm hören, dass Opfer vor 1945 Priorität hätten „und ich habe auch bei Frau Dr. Reich keine solche Haltung bemerken können“. Kaum mehr entgegnen wollte Benz auf eine flammende Rede des Regisseurs Dirk Jungnickel: Ines Reich habe auf eine „biologische Lösung“ gesetzt, die von ihr ausgegrenzten Zeitzeugen seien tot oder entmutigt. Sie habe „in Gutsherrinnenart agiert“ und „den Gulag vergessen – das ist unverzeihlich“. Die ersten, noch nicht vom Beirat korrigierten Texte seien „eine Katastrophe gewesen“, ihr fehle neben der menschlichen „die wissenschaftliche Kompetenz“. Auch Brandenburgs Kulturstaatssekretär Martin Gorholt (SPD) – „er hätte eine moderierende Rolle spielen müssen“ – und Ingeborg Berggreen-Merkel, Abteilungsleiterin beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien – „getan hat die Frau nichts“ – bekamen ihr Fett weg. Ines Reich entgegnete, dies sei „Häme, die mich betroffen macht“; sie glaube, hier liege „eine Feindprojektion“ vor.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })