Landeshauptstadt: „Welch Dichte der Erinnerung“
Am 60. Jahrestag der Zerstörung Potsdams hat der Wiederaufbau der Garnisonkirche begonnen – mit Protest
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Am 60. Jahrestag der Zerstörung Potsdams hat der Wiederaufbau der Garnisonkirche begonnen – mit Protest Stadtjugendpfarrer Markus Schütte zeigte sich am Ende erleichtert: Die Grundsteinlegung für den Wiederaufbau der Garnisonkirche am gestrigen Nachmittag verlief weitgehend störungsfrei. Dazu trug ein erhebliches Polizeiaufgebot bei – vor allem aber die vielen Potsdamer, die den Raum vor Bühne und Grundstein in der Breiten Straße füllten, ihn faktisch absicherten, damit aber auch die Zustimmung weiter Teile der Bevölkerung zu dem Bauprojekt dokumentierten. Die Kulisse konnte nicht prächtiger, aber auch nicht symbolhafter sein. Beinahe jeder Platz vor der Bühne war gefüllt, viele Fotoapparate und Videokameras waren im Einsatz, die Lieder während des Liturgischen Festaktes wurden mit Freude und mancher Träne in den Augen gesungen. Doch da, wo einst die 1734 eingeweihte Barockkirche stand, künden derzeit nur zwei kleine, dürftige Mauersockel von dem einst stadtbildprägenden Meisterwerk des Architekten Philipp Gerlach. Dahinter erhebt sich die triste Plattenbaufassade eines Fahrradladens, der Teil eines Rechenzentrums ist – erbaut auf dem Fundament der im Juni 1968 von der SED-Regierung gesprengten Kriegsruine. Ein 22 Meter hohes Gerüst mit Stoffbahnen, auf denen der untere Teil des Garnisonkirchturms abgebildet ist, gibt gleich nebenan schon eine Vorahnung von der Größe des Bauwerks. Aber auch von der gewaltigen Aufgabe, die vor der Kirche, der Fördergesellschaft um Hans P. Rheinheimer und den vielen spendenwilligen Potsdamern liegt. Die Stoffbahnen am Gerüst flattern leicht im Nachmittagswind, der Potsdamer Bläserchor spielt zwischen den Reden. Diese sind, wie auch die Gespräche untereinander kurz gehalten, aber prägnant. Da wird beinahe nichts ausgelassen, was an diesem Tag gesagt werden muss: In der Trauer um die Bombenopfer vor genau 60 Jahren wird an die Ursache für den verheerenden Angriff erinnert, denn es sei der von Hitlerdeutschland angezettelte Krieg gewesen, „der nach Potsdam zurück gekehrt ist“, sagt Platzeck. „Wir haben uns aber auch versammelt, die Hand der Versöhnung auszustrecken.“ Die widersprüchliche Geschichte des Gotteshauses kommt zur Rede, der Missbrauch durch die Nationalsozialisten mit dem Tag von Potsdam. Für viele Gegner des Wiederaufbaus ist dieser 21. März 1933 bis heute das Todesurteil für den Bestand des Kirchenbaus. „Nie wieder Preußen“, skandieren die zumeist Jugendlichen auf der gegenüberliegenden Straße, gut abgeschirmt von Polizeieinsatzwagen. Oberbürgermeister Jann Jakobs ruft laut in das Mikrofon, „dass wir die dunklen Teile der Geschichte nicht kleinreden werden“. Widersprüche gelte es zu diskutieren und er verstehe nicht, warum linke Gruppen das Angebot der Kirche, auf der Veranstaltung zu reden, abgelehnt hätten. „Hör auf mit der Scheiße“, ruft ein junger Mann neben der Bühne. Er wird von Männern in Zivil abgedrängt, muss den abgesperrten Bereich verlassen. Er ist nicht der Einzige, der nach Zwischenrufen abgeführt wird. Es gibt Beifall dafür. Bischof Wolfgang Huber erinnert an den erneuten Opfergang der Garnisonkirche am 23. Juni 1968, als das SED-Sprengkommando zuschlug. Der Wiederaufbau sei auch eine der Antworten auf die Sprengungen von Kirchen in der Zeit der DDR. „Man kann eine Kirche sprengen – das Christentum bleibt“, sagt Innenminister Jörg Schönbohm. Huber ist es auch, der in dieser Stunde daran erinnert, dass die Bombennacht vom 14. April 1945 nur Teil der Ereignisse jener Wochen waren,in denen sich das Ende des Naziregimes „auf geradezu apokalyptische Weise“ vollzog. Am 16. April 1945 begann der Kampf um die Seelower Höhen, am 17. April befreiten russische Soldaten die überlebenden Häftlinge des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Huber: „Auch daran werden wir in den nächsten Tagen denken“, schallt Hubers Stimme über den Platz, von dessen gegenüberliegender Seite es immer wieder herüberschallt: „Nazis raus!“ „Welche Dichte der Erinnerung“, ruft Huber. Die Erinnerung zu bewahren sei eine „Verpflichtung, die immer dringlicher wird“. Auch dafür stehe das künftige Versöhnungszentrum in der Garnisonkirche. „Wer auch immer brüllt, niemand hat das Recht, uns dies abzusprechen. Wahrheit und Frieden sollen von dieser Kirche ausgehen. Wir laden alle ein. “ Dann ist der Grundstein gelegt, vor dem sich später viele Potsdamer fotografieren lassen. „Vertraut den neuen Wegen“, singen die Versammelten. Hinter dem Gerüst mit den Stoffbahnen gibt es Kaffee, Kuchen, Würstchen und Bier. Der Verkaufsstand mit den Merchandising-Produkten für den Wiederaufbau macht erste glänzende Geschäfte. Die Polizei räumt die Kreuzung von den letzten Protestierenden.
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