Landeshauptstadt: „Welche Dosis gestatte ich?“
Der Psychologe Dr. Hasso Klimitz vom Bergmann-Klinikum rät, sich von Weihnachten nicht zu sehr unter Druck setzen zu lassen
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Weihnachten ist das Fest der Liebe und der Familie. Allein aber die unter Arbeitskollegen hinterher häufig gestellte Frage, „Na, Weihnachten gut überstanden?“ verdeutlicht, dass die Wirklichkeit häufig eine andere ist. Wie Dr. Hasso Klimitz vom Zentrum für Psychiatrie des Klinikums „Ernst von Bergmann“ den PNN erklärte, liege insbesondere zu Heiligabend ein hoher Harmoniedruck auf den Leuten. Dabei ist der Stress an den Tagen davor groß, da Geschenke gekauft werden müssen. Am 24. Dezember seien viele dann erschöpft, setzten sich aber selbst weiter unter Druck: Es muss gelingen, das Weihnachtsessen „muss schmecken“. Freilich könne sich dem nicht jeder radikal verweigern und keinen Familienbesuch empfangen. Jeder aber, so Klimitz, könne entscheiden: „Welche Dosis gestatte ich?“ Der Psychologe rät, nicht den gesamten Heiligen Abend in der womöglich überheizten Stube zu verbringen, sondern einen Spaziergang zu machen. Auch sei Weihnachten der denkbar falsche Zeitpunkt, im Kreise der Lieben konfliktträchtige Themen anzusprechen.
Eine „extrem gefährliche Zeit“ ist Weihnachten jedoch für die Menschen, die allein sind, deren familiäre Situation belastet ist oder bei denen Partnerschaften in die Brüche gegangen sind. Besonders zu Weihnachten werde einem die eigene Lage „besonders vor Augen geführt“, erklärte Klimitz. Da der Heilige Abend ein Fest der Familie ist, seien Bekannte, die sonst gut als Ersatzfamilie fungieren, „nicht verfügbar“. Der Situation in den eigenen vier Wänden zu entfliehen gelinge schwerer, da auch viele Restaurants am 24. Dezember schließen. Um „wärmende Anlaufstelle“ zu sein, verlegten viele Kirchen daher ihre Gottesdienste in die späten Abendstunden. Die Nähe zur Jahreswende, so der Psychologe, verstärke die Neigung, Bilanz zu ziehen. Falle die in der individuellen Betrachtung nicht so gut aus, sei dies eine weitere Belastung. Eine höhere Suizidrate in der Weihnachtszeit verzeichne die Forschung „glücklicherweise nicht“. Ein besonders hohes Risiko für einen vollendeten Suizid bestehe bei alleinstehenden betagten Männern mit einem Alter von über 80 Jahren. Die höchste Rate versuchter Suizide sei bei jungen Mädchen zwischen 14 und 16 Jahren zu verzeichnen.
In der Patientenbetreuung am psychiatrischen Zentrum werde auf Weihnachten besonders Bezug genommen. Stationäre Patienten, die das Fest zu Hause verbringen, könnten jederzeit früher zurückkommen. Tagespatienten, erläutert der Psychologe, könnten jederzeit auf eigenen Wunsch stationär aufgenommen werden. Eine Möglichkeit, sich seelisch zu entlasten, biete ein Anruf bei der Telefon-Seelsorge unter (0800) 111 0 111 oder (0800) 111 0 222. Guido Berg
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