Landeshauptstadt: Weltmeisterlich übers Wasser
In 20er Canadiern bei Sonnenschein und Windstille über Berliner und Potsdamer Gewässer: Olympiasieger Jürgen Eschert und Juniorenweltmeister Sven Lehnert gaben den Takt vor – auch Neulinge im Boot konnten gut mithalten
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In 20er Canadiern bei Sonnenschein und Windstille über Berliner und Potsdamer Gewässer: Olympiasieger Jürgen Eschert und Juniorenweltmeister Sven Lehnert gaben den Takt vor – auch Neulinge im Boot konnten gut mithalten „Pause, Pause“, klang es über den Kleinen Wannsee. Diesen Hilferuf einer Schar hübscher Abiturientinnen konnte Jürgen Eschert nicht überhören. Er ließ die beiden großen Canadier am Steg des gastfreundlichen Ruderklubs „Astoria“ anlegen. Noch ehe die Freizeitkanuten Arme und Beine ausgeschüttelt hatten, war schon das Versorgungsboot heran. Wolfgang Altmann und seine Crew reichten Bockwürste und Knacker. Gut zehn der insgesamt 16 Kilometer Fahrt hatten die Teilnehmer der ersten, auf vier Radtouren folgenden Kanufahrt der PNN-Jahresaktion „Potsdam erleben“ zu diesem Zeitpunkt schon hinter sich. Vom Start im Strandbad Babelsberg an bescherte ihnen Petrus „Kaiserwetter“: Sonne, aber nicht zu viel, maßvolle Sommerwärme, vor allem aber kein Gegenwind und kaum Wellenschlag auf den Seen. Wenn je 20 Paddel zeitgleich ins Wasser stechen, erreichen die großen Indianerboote, die die nordamerikanischen Ureinwohner vor allem für Transporte nutzten, unter solchen Bedingungen schnell ein flottes Tempo. Immer mal wieder gab Jürgen Eschert den Takt vor, und so lernten selbst die ungeübten Teilnehmer bald, den Rhythmus des Vordermanns aufzunehmen. Zwei solcher Boote für eine maximal 20-köpfige Besatzung hat der Kanu Club Potsdam aus Kanada erworben und stellt sie für Ausfahrten zur Verfügung, so am Sonnabend auch für die Kanupremiere der PNN-Leseraktion. Zwar war die Tour kein Wettrennen, doch die überwiegend aus reiferen Jahrgängen bestehende Crew Jürgen Escherts fühlte dennoch einen gewissen Stolz, als sie der von Sven Lehnert geführten jüngeren Truppe meist eine Nasenlänge voraus war. Mit preußischer Korrektheit setzte sie die Kommandos ihres Steuermanns um, während Sven die jungen Mädchen wohl nicht so leicht disziplinieren konnte. Außerdem entsprach der Ablauf auch der sportlichen Hierarchie: Eschert brachte 1964 eine olympische Goldmedaille im Einercanadier mit nach Potsdam, das konnte Sven mit seinem Juniorenweltmeistertitel nicht übertrumpfen. Für die beiden ist es leicht, solch einen großen Canadier über das Wasser zu treiben. Auch den Neulingen im Boot schien das so, denn sie trugen anfangs ohne Schwierigkeiten zur flotten Fahrt bei. Nach acht, zehn Kilometern wurden dann aber die Arme schwerer. Bei einigen wird wohl ein leichter Muskelkater zurückbleiben, zumal ihnen im letzten Drittel der Tour über den Griebnitzsee zurück zum Strandbad der auffrischende Wind ins Gesicht blies. An den nächsten Wochenenden stehen größere Herausforderungen bevor, so eine fast 35 Kilometer lange Tour um die Insel Potsdam, und da sollte man zuvor doch besser ganz uneitel seine Kondition hinterfragen – oder sich für einen Platz im begleitenden Motorboot anmelden. Das Paddeln erfordert zudem ständige Konzentration. Die Gespräche an Bord sind zwar hochinteressant, so wenn eine aus Bremen zugezogene Neu-Potsdamerin von der wunderschönen Havelseenlandschaft schwärmt, doch verliert man beim Zuhörern leicht den Takt und das Paddel touchiert mit dem des Vordermanns. Ähnliche Wirkungen kann ein Blick auf die am Ufer vorbeiziehenden Sehenswürdigkeiten auslösen oder der im Herzen jedes alten Potsdamers untilgbar verankerte Wunsch, sie den Bootsnachbarn nahe zu bringen. Die PNN haben vorgesorgt und ermöglichen durch die Tourkarten – heute der PNN-Ausgabe beiliegend –, über diese Sehenswürdigkeiten nachzulesen. Ein kundiger Führer, der nicht ans Paddel gebunden ist, könnte aber darüber hinaus spannende Anekdoten erzählen. Gleich nach dem Start zieht beispielsweise das Kleine Schloss im Park Babelsberg vorüber. Seine Geschichte vom Gartenhaus eines Webermeisters über den Ausbau unter Prinz Wilhelm (dem späteren Kaiser Wilhelm I.) über die Nutzung als Hofdamen- und als Försterhaus bis zur Gaststätte kann man nachlesen. Doch wer weiß schon, dass seit dem Vorjahr hier mit Arnd Gilka-Bötzow der Nachfahre zweier berühmter Hoflieferanten Wirt ist? Gilka versorgte den alten Kaiser oben im Schloss mit Kümmel, Bötzow mit untergärigem Bier. Kurz vor Ende der Kanutour passierten die Boote jene Stelle, wo einst hinter dem Griebnitzsee die Enver-Pascha-Brücke die Glienicker Lake überspannte. Von dem kriegszerstörten Bauwerk ist kaum noch etwas zu ahnen, doch ihr Namensgeber geriet mehr als 80 Jahre nach seinem Tode wieder ins Gerede. Der türkische Militärattaché, der diesen Weg regelmäßig zum Besuch bei Babelsberger Bekannten benutzte, war später als Kriegsminister führend an der gnadenlosen Verfolgung der armenischen Christen beteiligt, deren 90. Jahrestag in diesem Sommer weltweit gedacht wurde. So ließe sich auf der großen Schleife vom Tiefen über den Jungfernsee, den Großen und den Kleinen Wannsee, den Prinz-Friedrich-Leopold-Kanal, den Pohle- und Stölpchensee, Griebnitzsee und Lake die vierstündige Paddelarbeit mit mancher tragischen oder lustigen Geschichte würzen, die sich mit dem Park Babelsberg und seinen Bauten, der Heilandskirche, dem Blockhaus Nikolskoe, der Pfaueninsel oder den 1945 während des Potsdamer Abkommens von den der „großen Drei“ bewohnten Villen verbinden. Mancher der Teilnehmer der PNN-Aktion sah auf der romantischen Strecke über die kleinen Seen an Wannsees Ostseite die prachtvollen Villen, die Segelhäfen, die Gebäude der Ruderklubs und die Ausflugslokale mit ihren Wasserterrassen zum ersten Mal. Wenn so für die folgenden drei Kanutouren auch kleinere Nachbesserungen denkbar erscheinen, ihren Spaß hatten die Teilnehmer allemal und nahmen unvergessliche Eindrücke mit nach Hause. Die meisten wollen deshalb beim nächsten Mal wieder dabei sein. Schon hat sich ein Stamm zusammen gefunden, der bereits an den Radausflügen teilnahm und sich auch die bevorstehenden Fußwanderungen und Streifzüge um Potsdams Häuser nicht entgehen lassen will.
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