
© Doris Spiekermann-Klaas
Von Heike Kampe: Wenn aus der Rose eine Hose wird
Am Sonntag ist der Europäische Tag der Logopädie. Aus der Arbeit von Potsdamer Sprachtherapeuten
Stand:
„Rrrrose“ – Lea schaut auf das Kärtchen in ihrer Hand und strengt sich mächtig an, um den Namen der Blume, die dort abgebildet ist, richtig auszusprechen. „Das hast du prima gemacht!“, lobt Sprachtherapeutin Franziska Starke. Lea ist vier Jahre alt und leidet an einer Sprachentwicklungsstörung. Für das Mädchen mit dem blonden Pferdeschwanz ist es schwierig, „R“ und „H“ voneinander zu unterscheiden und die Laute richtig einzusetzen. So wird aus der „Giraffe“ oft eine „Gihaffe“, oder aus dem „Reh“ ein „Heh“. Zweimal in der Woche besucht Lea ihre Sprachtherapeutin im „Sprechzimmer“, einer logopädischen Praxis in Babelsberg, die Franziska Starke gemeinsam mit ihrer Kollegin Tanja Wendland in diesem Jahr eröffnet hat. Hier übt Lea spielerisch das Hören, Verstehen und Sprechen der Laute, die ihr Probleme bereiten.
In Potsdam gibt es derzeit 26 niedergelassene Logopäden. Sprache, Sprechen, Stimme und Hören – die Eckpfeiler menschlicher Kommunikation stehen bei ihnen im Mittelpunkt. Die Patienten, die den Weg zum Logopäden finden, leiden an verschiedensten sprachlichen Störungen. Meist sind es Kinder. Sie kommen häufig wegen eines zu geringen Wortschatzes, weil sie grammatische Regeln falsch anwenden oder wie Lea bestimmte Laute verwechseln. Doch auch Erwachsene benötigen logopädische Unterstützung, etwa wenn das Schlucken gestört ist, sich durch falschen Stimmgebrauch auf den Stimmbändern Knötchen gebildet haben oder Sprachstörungen nach einem Schlaganfall auftreten.
So wie Lea geht es vielen Kindern: Im vergangenen Jahr stellte das Gesundheitsamt bei den Schuleingangsuntersuchungen in Potsdam bei zwölf Prozent aller Schulanfänger sprachliche Störungen fest. 122 Jungen und 62 Mädchen waren betroffen. Damit sind Sprachstörungen die häufigsten Entwicklungsstörungen bei Vorschulkindern. Doch nicht jedes dieser Kinder benötigt eine Sprachtherapie bei einem Logopäden. Häufig reichen Sprachfördermaßnahmen, die in der Kindertagesstätte durchgeführt werden, schon aus, um sprachliche Defizite zu beheben. Im Durchschnitt benötigen etwa sechs bis acht Prozent der auffälligen Kinder jedoch die Hilfe eines Logopäden, da bei ihnen eine echte Entwicklungsstörung vorliegt. Meist wird eine sprachliche Fehlentwicklung im vierten Lebensjahr, bei der achten Vorsorgeuntersuchung beim Kinderarzt, festgestellt. Die Sensibilität der Ärzte für sprachliche Auffälligkeiten ist in den letzten Jahren gestiegen. „Heute wird früher und genauer nachgeschaut“, erklärt Starke. Dementsprechend frühzeitig können entsprechende Therapien den Kindern helfen. Die meisten werden zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr verordnet. Oft bemerken die Eltern selbst schon früh, dass ihr Kind Schwierigkeiten mit der Sprache hat.
Auch Leas Eltern wurden aufmerksam: „Wir haben gemerkt, dass Lea schlecht spricht und nachts nicht gut geschlafen hat“, sagt ihre Muter. Der Kinderarzt stellte fest: Lea leidet unter Polypen, gutartigen Wucherungen der Nasenschleimhaut. Als Folge davon konnte das Mädchen nicht gut hören. „Stellen Sie sich vor, sie haben Watte in den Ohren“, erklärt Therapeutin Starke. So nahm Lea lange ihre Umgebung wahr, bis Polypen und Mandeln entfernt wurden. Eine Sprachtherapie hilft ihr nun, die verzögerte Sprachentwicklung nachzuholen.
Hörstörungen sind eine häufige Ursache für Störungen im Spracherwerb. Was nicht richtig gehört wird, kann auch nicht richtig gelernt werden. Eine andere Ursache liegt im sozialen Umfeld der Kinder. „Sprache gerät im Alltag teilweise ins Hintertreffen“, weiß Logopädin Wendland. Wenn Kinder viel Zeit vor dem Fernseher verbringen, bleibt ihnen weniger Zeit, selbst zu sprechen und damit Sprache und Kommunikation zu erlernen. Zunehmend seien auch Kinder mit Migrationshintergrund in logopädischer Behandlung, sagt Wendland. Gespräche in der Familie und das Vorlesen von Büchern seien die beste Anregung für eine gesunde Entwicklung der Sprache, so Starke.
Nicht immer lässt sich eine Ursache für Sprachentwicklungsstörungen finden. Wenn weder organische Gründe noch mangelnde Anregung im Elternhaus für die Störung verantwortlich sind, verunsichert das häufig die betroffenen Mütter und Väter. „Das erste, was Eltern fragen ist: Woher kommt denn das?“, erzählt Tanja Wendland. Habe ich meinem Kind zu wenig vorgelesen, habe ich es vernachlässigt – dies seien dann Fragen, die in den Köpfen herumspukten. Da viele Eltern Angst vor einer Stigmatisierung hätten, scheuten sie sich, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Doch Therapeutin Starke plädiert dafür, so früh wie möglich mit einer Therapie zu beginnen, die Datenlage sei da eindeutig. „Defizite in der Sprache schleppen sich durch die ganze Entwicklung. Wenn sie nicht behandelt werden, steigt das Risiko einer Lese- und Rechtschreibschwäche. Irgendwann haben die Kinder dann so viel nachzuholen, dass es schwierig für sie wird.“
Nach 45 Minuten hat es Lea geschafft. Stolz hält sie ein Blatt in den Händen, auf dem lauter bunte Herzen kleben. Eines für jedes richtig erkannte Wort. Zufrieden macht sie sich auf den Heimweg.
Heike Kampe
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