Landeshauptstadt: Wenn der Paketdienst kam, war der Kick vorbei
Kaufsüchtiger sitzt auf Bergen von Kartons und Schulden/Jetzt sucht er Hilfe
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Kaufsüchtiger sitzt auf Bergen von Kartons und Schulden/Jetzt sucht er Hilfe Von Nicola Klusemann Als Klaus Müller, Frank Schmidt oder Jürgen Siebert bestellte der 39-jährige Mann aus Zentrum-Ost aus Versandhaus-Katalogen, was das Herz begehrte: Ein Dutzend Kartons vom teuersten Wein, Leuchtstoffröhren, Wassersäulen, Knetmaschine und DVD-Player. Wenn der Paketdienst lieferte, habe er sich die Sachen nur angeschaut und dann in den Keller gestellt. „Ich wollte sie nur haben.“ Mit Lieferung sei der Kick schon vorbei gewesen. Dann musste die nächste Bestellung auf den Weg gebracht werden. Bernd Lüscher* ist kaufsüchtig. Und wie alle Menschen, die unter einer Sucht leiden, auch sehr findig, wenn es gilt, das krankhafte Bedürfnis zu stillen. Am Anfang sei er noch in der Lage gewesen, die bestellten Waren zu bezahlen oder zurück zu schicken. Irgendwann habe ihn das nicht mehr interessierte. Und als die Versandhäuser ihn auf die Schwarze Liste setzten und seine Bestellungen nur noch per Nachnahme annehmen wollten, dachte er sich eben Namen und Bankverbindungen aus. Immer schrieb er beispielsweise Müller bei Lüscher, damit die Ware auch ankam. Wenn der Bote mal nachfragte, sagte er, der Herr Müller wohne übergangsweise bei ihm. Fand er eine Paketkarte im Briefkasten, berechtigte er sich selbst mit einer gefälschten Unterschrift zur Abholung der Lieferung. Täglich kamen Pakete, aber auch Mahnungen. „Die ich immer freundlich beantwortete: Es täte mir leid, dass ich versehentlich eine falsche Kontonummer angegeben hätte oder dass ich die Überweisung noch einmal mit korrekten Angaben tätigen würde“, erzählt Bernd Lüscher. Und wenn ihm keine Ausreden mehr einfielen, schmiss er die Briefe einfach in den Müll. Irgendwann Ende der 90er Jahre – sein Keller war angefüllt mit ungenutzten und unbezahlten Lieferungen im Wert von rund 20000 Mark – flog der Schwindel auf. Der 39-Jährige musste sich wegen Urkundenfälschung und Betrugs vor dem Gericht verantworten. „Es gab 18 Monate Bewährung.“ In dieser Zeit habe er nichts bestellt, aus Angst, er könnte bei Verstoß gegen die richterlichen Auflagen ins Gefängnis wandern. Nach Ablauf der Zeit und tonnenweise weggeworfenen Bestellkatalogen, „fing der Scheiß von vorne an“. Bernd Lüscher leidet, kann sich nicht gegen seine Sucht stellen und wird rückfällig. Er habe die Versandhäuser, die ihn ständig mit Katalogen beglückten, gebeten, ihm keine bunten Hochglanz-Angebote mehr zu schicken. Ohne Erfolg. Inzwischen weiß er, dass er ein Problem hat. Allerdings hat er noch niemanden gefunden, der ihm helfen kann. Im Herbst dieses Jahres droht eine neuerliche Gerichtsverhandlung. Bis dahin möchte er eine Therapieform gefunden haben, die ihn die Kaufsucht bewältigen lässt. Außerdem möchte er ebenfalls von dieser Sucht Betroffene finden, um sich über Probleme und mögliche Lösungen auszutauschen. * Name von der Redaktion geändert Das Gründungstreffen der Selbsthilfegruppe Kaufsucht ist am 8. Juli um 18 Uhr im Sekiz, Hermann-Elflein-Straße 11. Anmeldung unter (0331) 620 02 80.
Nicola Klusemann
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